Der gemachte Rechtsextremismus

Die Messlatte in der Extremismus-Debatte wurde in den letzten Jahren gehörig verschoben. Diesen Vorwurf muss man den Qualitätsmedien und den politischen Gegnern der AfD machen. Sie verwischen die Grenzen zwischen rechts und rechtsextrem. Was noch vor 20 Jahren rechts war, was noch vor 30 Jahren Mehrheitsmeinung der bürgerlichen Mitte war, wird heute als rechtsextrem oder rechtsradikal bezeichnet.

Nehmen wir beispielhaft einige Aussagen unseres ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt (SPD). In meinen Augen einer der Besten, die das Land je hatte. Schmidt sagte 2004 im Hamburger Abendblatt: „Es war ein Fehler, dass wir zu Beginn der sechziger Jahre Gastarbeiter aus fremden Kulturen ins Land holten.“ Und: „Die multikulturelle Gesellschaft ist eine Illusion von Intellektuellen.“ 2005 sagte er im Fokus: „Ich glaube, dass wir uns übernommen haben mit der Zuwanderung von Menschen aus völlig anderen kulturellen Welten. Sieben Millionen Ausländer in Deutschland sind eine fehlerhafte Entwicklung.“ Und 2008 schrieb er in seinem Buch „Außer Dienst“: „ Wer die Zahlen der Moslems in Deutschland erhöhen will, nimmt eine Gefährdung unseres inneren Friedens in Kauf.“ 2012 sagte Schmidt in der Sendung „Maischberger“, dass er diese Aussagen weiterhin für vernünftig halte und sie heute ähnlich wiederholen würde.

Ich denke, die Politik, einschließlich und allen voran die SPD, sowie die meisten Qualitätsmedien würden diese Aussagen heute als rechtsextrem oder rechtsradikal bezeichnen und jemanden, der solches sagt, als Rechtsextremisten. Der Verfassungsschutz würde jemanden, der politisch aktiv ist und öffentlich das sagt, was Schmidt sagte, womöglich beobachten. Würde er? Oder nicht? Dann sollte man auch das klar sagen und dem Bürger eine Orientierung geben. Und selbst jemand, der solche Aussagen nur rezitiert und in Umlauf bringt, muss, wenn er nicht gerade anerkannter Journalist der Qualitätsmedien und damit absolut unverdächtig ist, solches Gedankengut womöglich selbst zu teilen, befürchten, selbst unter Extremismus-Verdacht zu geraten.

Ich habe extra diese Aussagen zu diesem Thema gewählt, weil es da besonders deutlich wird und wir alle an uns feststellen können, wie sich das Wertegefüge in den letzten Jahren gewandelt hat. Jeder weiß, dass Aussagen, die kritisch gegenüber Zuwanderung und Multikulti sind, vielleicht sogar als kritisch gegenüber dem Islam (miss-)verstanden werden können, in Deutschland heute als rechtsextrem oder rechtsradikal gelten. Ich habe diese Aussagen, die ich inhaltlich teile, nicht gewählt, weil mir dieses Thema gerade jetzt persönlich besonders am Herzen läge oder weil ich irgendeinem Menschen das Grundrecht absprechen wollte, einer Religion seiner Wahl anzugehören. Sondern nur, weil sie so gut belegen, dass heute als rechtsextrem gilt, was noch vor vielleicht 20 Jahren Mehrheitsmeinung der bürgerlichen Mitte gewesen sein dürfte und noch vor wenigen Jahren zumindest zulässiger politischer Diskurs.

Jetzt kommt der Punkt. Wenn heute rechtsextrem oder -radikal ist, was vor noch gar nicht so langer Zeit vielleicht als konservativ galt und wenn heute diejenigen, die bislang als Konservative galten, als Rechtsextremisten bezeichnet werden, dann hat man sie gemeinsam mit denen in eine Schublade gesteckt, die sich darin auch vor 30 Jahren schon völlig zu Recht befanden. Man hat Konservative, Konservativ-Liberale und Nationalkonservative mit denjenigen in eine Schublade gesteckt, die auch nach früheren Wertemaßstäben schon immer rechtsextrem waren. Mit völkischen Nationalisten, sozialen Nationalisten und Neonazis. Man hat Bürger, die sich früher zum Teil von Parteien wie CDU (vor Merkel), FDP oder sogar SPD (siehe Helmut Schmidt) vertreten fühlten mit denjenigen in eine Schublade gesteckt, deren Herz früher für Parteien wie NPD oder DVU oder für Organisationen wie die Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ) schlug, zu deren großer Freude. Sie haben dadurch nämlich die Solidarität und Unterstützung in einem in der Bundesrepublik zuvor nicht dagewesenen Ausmaß bekommen. Von Menschen, die weder früher rechtsextrem waren und es nach den noch vor wenigen Jahren geltenden Maßstäben auch heute nicht sind. Von Menschen, die konservativ waren und geblieben sind, die aber jetzt trotzdem eine Wagenburg bauen gemeinsam mit denen und um die herum, die schon immer als Extremisten galten. Weil sie, völlig zu Recht, nicht verstehen können, dass ihre konservative Meinung, ihr Weltbild, plötzlich rechtsextrem sein soll. Und weil sie annehmen, dass Leute wie Herr Kalbitz, der schon immer ein Rechtsextremist war, genauso zu Unrecht als solcher bezeichnet wird wie sie selbst. Viele können das nicht differenzieren und identifizieren sich, aus Uninformiertheit oder aufgrund des ständigen Bezugs einseitiger Informationen innerhalb einer Blase, mit Leuten, die wirklich Extremisten sind und es schon immer waren. Man kann nicht erwarten, dass jeder, nur weil er Mitglied einer politischen Partei ist, über ein umfassendes politisches und historisches Wissen verfügt und stets auf der Suche nach einer unabhängigen Meinungsbildung ist. Man kann aber verstehen, dass jemand, der sich selbst als Rechtsextremisten diffamiert sieht, jedoch nach früheren Maßstäben konservativ ist, mit denen solidarisiert, denen der gleiche Vorwurf gemacht wird wie ihm selbst. Aus diesem Grund mag es ja sein, dass 8000 Mitglieder der AfD dem Flügel zugeneigt sind, aber aus demselben Grund sind sie auch nicht alle rechtsextrem nach früheren Maßstäben.

Diese neue Messlatte, das Verschieben des Wertegefüges, haben die Qualitätsmedien und die politischen Gegner der AfD gemeinsam geschaffen, etwa durch ihr Wording. Durch die inflationäre Verwendung der Begriffe „rechtsextrem“ und „rechtsradikal“.

Es wird Zeit, dass diese Medien sich endlich auf ihre journalistische Neutralitätspflicht, die es für Einige ja gar nicht gibt, besinnen und damit aufhören, alles als rechtsextrem oder -radikal zu bezeichnen oder in diese Nähe zu rücken, was in ihr eigenes Weltbild oder in das, das zu vermitteln sie genötigt werden, nicht passt. Es wäre eine journalistische Aufgabe in diesem Sinne, sogar ein Dienst am eigenen Land, den Menschen in Deutschland endlich einmal, unter Nutzung der gesamten Bandbreite medialer Möglichkeiten, zu erklären, warum Rechtsextremismus nicht gleich Rechtsextremismus ist und die Messlatte neu zu definieren. Holt die Leute wieder aus der Schublade raus, die Ihr da hineingesteckt habt und lasst die drin, die schon früher darin waren. Ändert Euer Wording. Sprecht nicht von rechtsextrem oder -radikal, wenn Ihr konservativ meint. Nennt rechts, was rechts ist, lasst die Zusätze „extrem“ oder „radikal“ weg und verwendet sie dann, wenn es gerechtfertigt ist. Rechts ist okay. Ihr müsst es nicht teilen, aber es ist okay. Rechtsextrem, was immer schon rechtsextrem war, ist nicht okay. Antisemitismus ist nicht okay. Rassismus ist nicht okay. Aber auch da gibt es ja Definitionsprobleme, über die man eigene Artikel schreiben könnte. Gebt denen, die nicht wirklich Extremisten sind, eine Chance.

Es wird auch Zeit, dass die politischen Gegner der AfD sich dazu bekennen, Demokraten zu sein und danach zu handeln. Was bedeutet, auch Meinungen zuzulassen, die früher sogar in ihren eigenen Parteien gelebt wurden. Wenn der Ausweis dafür, Demokrat zu sein, darin besteht, andere als Anti-Demokraten zu bezeichnen und sie aus dem politischen Diskurs auszuschließen, genügt das sicher nicht.

Ich will die Qualitätsmedien und den politischen Gegner nicht allein für den Aufstieg des „Flügels“ in der AfD verantwortlich machen, der ja letztlich Ausdruck dieser Entwicklung ist. Ohne Björn Höcke, Andreas Kalbitz und ein paar Händen voll weiterer Rechtsextremisten wäre das nicht passiert. Die haben mit ihrer „Erfurter Resolution“, die inhaltlich gar nicht rechtsextrem war, ein trojanisches Pferd zur Sammlung von Mitgliedern für den entstehenden Flügel geschaffen (weshalb es auch völliger Unsinn ist, auf Basis der Resolution feststellen zu wollen, wer dem Flügel angehört(e) oder nahesteht). Auch das IfS in Schnellroda, das Compact-Magazin oder zahlreiche Gruppen in den sozialen Medien haben sicher ihren Anteil an der unseligen Entwicklung in der AfD. Aber die Wasserträger und Bewahrer dieser ganzen Entwicklung sind Medien und politische Gegner, weil sie durch ihr Schreiben und Reden eine Wagenburg erzeugt haben, innerhalb der nicht mehr differenziert wird. Auch die, die Teil davon sind, können nicht mehr oder zumindest oft schwer differenzieren. „Einig, einig, einig!“, das ist der Schlachtruf derer, die man da hineingezwungen hat und nicht wieder herauslassen will.

Ich habe das Patentrezept nicht, wie man das lösen will und ich fürchte auch, dass diejenigen außerhalb der AfD, die dazu beitragen könnten, es zu lösen, es nicht lösen wollen. Ich möchte enden mit einem Satz, der auch von Helmut Schmidt stammt (bei Phoenix, 2006): „Wenn man ganz genau hinschaut, dann sieht man, dass die politischen Journalisten eigentlich mehr zur politischen Klasse gehören und weniger zum Journalismus.“ (jw)