Dr. Thomas Schäfer (54) ist tot. 10 Jahre lang, bis zu seinem Tod, war der CDU-Politiker Finanzminister in Hessen. Zuvor war er unter anderem Büroleiter des einstigen Justizministers Christian Wagner und des früheren Ministerpräsidenten Roland Koch (beide CDU). Er hinterlässt eine Frau und 2 Kinder im Alter von 9 und 12 Jahren.
Ich kenne Herrn Schäfer nicht, aber ich habe in etwa sein Alter und meine Kinder sind ebenfalls etwa im gleichen Alter wie seine Kinder. Darum macht mich das umso fassungsloser und ich möchte der Familie mein herzliches Beileid aussprechen.
Thomas Schäfer wurde von einem Zug überrollt. Die veröffentlichten Nachrichten dazu berichten, Schäfer habe Selbstmord begangen. Er habe einen Abschiedsbrief hinterlassen. Daraus sei zu entnehmen, dass die aktuelle gesellschaftliche und wirtschaftliche Lage den Minister erdrückt habe und er befürchtet habe, die Erwartungen der Bevölkerung nicht erfüllen zu können. Dies sei einer der Gründe, die ihn wohl in den Freitod getrieben hätten. Mehr wissen wir derzeit nicht.
In diesem Zusammenhang interessant ist sicher die letzte Rede des Ministers, die er im hessischen Landtag am 24. März hielt, 4 Tage vor seinem Tod. Sie ist auf Youtube zu finden.
Nun, wenn es einen offenbar mehrseitigen Abschiedsbrief geben soll, der die Gründe für einen Freitod Schäfers belegen soll, aber mit dem Verweis auf die Privatsphäre und noch nicht abgeschlossene Ermittlungen nicht öffentlich gemacht wird, von der Presse bereits veröffentlichte Ausschnitte daraus sogar in Windeseile wieder gelöscht wurden, muss man sich nicht wundern, dass das Misstrauen erregt.
Mit Rücksicht auf die Privatsphäre nun keine Fragen mehr zu stellen, würde die Sache dann doch etwas zu einfach machen. Mir kommen dabei diese Fragen in den Sinn:
1. Schäfer war seit vielen Jahren Spitzenpolitiker. Für jeden Menschen mag man annehmen, dass er fähig ist, Gefühle, Empathie und soziales Verantwortungsbewusstsein zu entwickeln. Genauso, wie er in schwierigen Situationen unter Druck geraten kann, was dann zu ganz unterschiedlichen Reaktionen führt, von Burn Out bis hin zu hin zu tief empfundener Ausweglosigkeit und Hoffnungslosigkeit, schlimmstenfalls auch dem Wunsch, nicht mehr leben zu wollen. Jeder Politiker ist auch nur ein Mensch. Aber ist es glaubhaft, dass jemand, der eine politische Karriere bis in ein solches Spitzenamt machen konnte und folglich mit allen Höhen, Tiefen, Machtkämpfen und Intrigen, die in politischen Parteien stets dazugehören, umgehen konnte, auf einmal so labil ist, dass er innerlich vollkommen zusammenbricht, weil er als Finanzminister eine Finanz- und Wirtschaftskrise kommen sah, von der er glaubte, dass sie nicht zu bewältigen ist? Ist das glaubhaft, selbst wenn er von einem möglicherweise historischen Ausmaß dieser Krise ausging und glaubte, dass das mehrere kommende Generationen belasten wird? Davon sprach er in seiner Rede am 24. März. Ist das glaubhaft, selbst wenn er einen, von manchen Experten bereits vor der Corona-Krise vorhergesagten, Crash, möglicherweise inklusive Inflation und Währungsreform, vielleicht auch einem Auseinanderbrechen der EU, nun in greifbarer Nähe auf sich zukommen sah? Ist das glaubhaft, dass ein Politiker so handelt, der als besonders kluger Mann bekannt war, der im kleinen wie im großen Kreis schon oft seine Schläue demonstriert habe, wie die Süddeutsche einmal über den möglichen Bouffier-Nachfolger berichtete?
2. Schäfer hinterlässt eine Ehefrau und zwei kleine Kinder. Man kann davon ausgehen, dass jemand, der 10 Jahre Finanzminister eines Bundeslandes war, privat wirtschaftlich gut situiert ist. Ist es glaubhaft, dass jemand, der eine junge Familie hat und sich mutmaßlich persönlich keine wirtschaftlichen Sorgen machen musste, seine Familie allein lässt und es in Kauf nimmt, dass seine Kinder ohne Vater weiter aufwachsen, selbst wenn um ihn herum die ganze Welt zusammenbräche?
3. Schäfer verfügte als Finanzminister eines Bundeslandes über wichtige, die Corona-Krise und die damit zusammenhängende Finanz- und Wirtschaftslage betreffende Informationen aus erster Hand. Wusste Schäfer etwas, das aber wir nicht wissen sollen? War nach Schäfers Rede am 24.03. im hessischen Landtag und möglicherweise danach erfolgten Gesprächen zu fürchten, dass Schäfer „aus dem Ruder“ laufen könnte und sein Gewissen öffentlich erleichtern würde?
Ich halte es für wenig glaubhaft, dass ein Politiker dieses Formats freiwillig aus dem Leben geht, weil er glaubt, eine Krise vor sich zu haben, die nicht mehr abwendbar ist. Ich halte es auch nicht für glaubhaft, dass ein solcher Profi, der kaum um seine eigene wirtschaftliche Lage fürchten muss, seine Familie allein lässt. Jeder normale Vater, dessen Familienleben halbwegs intakt ist, würde doch sehen wollen, was aus seinen Kindern wird und versuchen, persönlich alles dazu beizutragen, was er kann. Erklären ließe sich das vielleicht durch massive Probleme gesundheitlicher Art, besonders psychischer Art, die das Urteilsvermögen erheblich beeinträchtigt haben müssten und womöglich auch physischer Art, wie etwa eine Krankheit mit infauster Prognose. Und ja, wenn jemand sich in einem Rauschzustand, sei es durch Alkohol oder Opiate, befindet und das mit einer Krisensituation zusammentrifft, mag es auch sein, dass jemand einmal etwas tut, was er sonst niemals tun würde.
Dass man jemanden zum Schweigen bringt, der zu viel weiß und dieses Wissen in die Öffentlichkeit zu bringen droht, wäre ein klassisches Motiv für einen politischen Mord. Ob das bei Herrn Schäfer so gewesen sein könnte, ist hochspekulativ. Und vielleicht wird das auch so bleiben. Ebenso wie bei Uwe Barschel und Jörg Haider, um zwei Beispiele zu nennen, um deren Tod sich die Spekulationen bis heute ranken.
Ich denke, die Veröffentlichung des Abschiedsbriefes, womöglich unter Schwärzung zu privater Passagen, ist in allgemeinem Interesse, um genau solchen Spekulationen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ebenso die Veröffentlichung von Teilen des Obduktionsergebnisses, sofern sich daraus Antworten ergeben, die helfen, den Tod des Ministers zu erklären. (jw)
Foto: pixabay