Jamaika ist geplatzt, aber wer ist schuld und wie geht es weiter?

Von Dr. Jens Wilharm

Die Sondierungsgespräche für eine Jamaika-Koalition sind geplatzt. Die Parteien haben gezeigt, dass sie bislang nicht willens und in der Lage sind, den Wählerauftrag anzunehmen und Regierungsverantwortung zu übernehmen. So recht versteht das niemand mehr und man kann das den Bürgern auch sehr schlecht vermitteln. Die Möglichkeiten sind nicht ausgeschöpft. Allen voran die, die am nächsten gelegen hätte und dem Wählerauftrag am ehesten entsprochen hätte, nämlich eine Neuauflage der GroKo aus CDU/CSU und SPD, selbst wenn ich mir die nicht wünsche. Aber Politik ist kein Wunschkonzert, sondern in einer Demokratie müssen alle Parteien im Grundsatz bereit sein, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Dafür haben sie sich wählen lassen.

Kaum ist also nun Jamaika geplatzt, reden alle nur von Neuwahlen. Allen voran Angela Merkel und Martin Schulz. Und kaum stehen mögliche Neuwahlen im Raum, sucht die mediale Propaganda-Walze nach dem Schuldigen und hat ihn auch schon ausgemacht. Die FDP. Untermauert wird das sogleich mit Umfragen, wonach 53 Prozent der Bundesbürger der FDP die Schuld gäben. Haaaalt! Bitte nicht so schnell. Wie kann ein solches Umfrageergebnis überhaupt zustande kommen? Jamaika ist doch erst gestern gescheitert und heute schon wissen 53 Prozent der Bundesbürger, dass die FDP daran schuld ist? Woher? Natürlich aus den Medien, die sie durch die Art und Weise der Berichterstattung zuerst zu dieser Meinung gebracht haben und sich jetzt darauf berufen. Im Grunde ist das nichts anderes als ein Beleg dafür, wie man Meldung innerhalb kürzester Zeit zu Meinung machen kann.

Wollen wir nicht erst einmal einen Schritt zurückmachen und die Dinge genauer analysieren, die zum Scheitern einer Koalitionsbildung im Allgemeinen und zum Scheitern der Gespräche über eine Jamaika-Koalition im Speziellen geführt haben? Haben die Wähler diese Ehrlichkeit und Neutralität nicht verdient?

Erst einmal ist mit Sicherheit nicht nur eine Partei oder gar eine Person schuld daran, dass eine Regierungskoalition noch nicht in Sicht ist und womöglich gar nicht zustande kommt.

Das geht los mit der SPD. Es ist doch völlig lächerlich, zu behaupten, die SPD habe keinen Wählerauftrag zu regieren. Sie hat ihn nicht mehr und nicht weniger als jede andere Partei, die am 24. September in den Bundestag gewählt worden ist. Eher sogar mehr als jede der Parteien, die wochenlag auf Kosten der Steuerzahler erfolglos mit der CDU/CSU verhandelt haben, denn sie ist immer noch die zweitstärkste Kraft. Die bisherige Totalverweigerung der SPD ist eine Verhöhnung ihrer Wähler und sie wird dafür im Falle einer Neuwahl hoffentlich auch die gerechte Strafe erhalten.

Das geht weiter mit den Grünen. Diese Partei hat vollkommen abwegige Vorstellungen zu den wichtigsten Fragen dieser Zeit, etwa der Flüchtlingspolitik, der Finanzpolitik oder dem Klimaschutz. Keine Partei, die in Zukunft auf Stimmen aus dem bürgerlichen Lager hofft, kann mit den Grünen koalieren, ohne sich selbst zu verleugnen. Da konnte man keine Einigung erwarten. Es ist vollkommen richtig, dass die FDP die Reißleine gezogen hat.

Schuld sind auch alle, die nicht mit der AfD reden wollen und selbst bei der Wahl des Bundestagsvizepräsidenten ein bedauernswertes Schmierentheater aufgeführt haben. Sie alle zeigen, dass sie Demokratie nicht richtig verstehen wollen. Auch wenn es viele nicht hören wollen, auch nicht in der AfD: Eine Minderheitenregierung aus CDU/CSU und FDP, die von der AfD toleriert wird, wäre vermutlich das, was unserem Land in dieser Lage am ehesten dienen würde.

Und schuld ist am Ende auch eine Person, nämlich Angela Merkel, die für die Sozialdemokratisierung der CDU verantwortlich ist und überhaupt kein Problem damit hätte, mit den Grünen zusammen zu regieren. Im Grunde gehört sie ja auch in eine andere Partei, mitsamt ihren Wasserträgern. Warum wohl will die SPD bislang nicht mehr mit der CDU? Weil Merkel heute für SPD-Politik steht und damit für einen historischen Wählerverlust bei der SPD gesorgt hat. Warum SPD wählen, wenn Merkel das doch so viel besser macht? Irgendwie ist die Welt bei CDU/CSU und SPD etwas aus den Fugen geraten. Es wäre angebracht, das durch einen Personalwechsel wieder gerade zu rücken.

Tja, und dann wäre da noch die 4. Gewalt im Staate. Die Presse. Die könnte jetzt mal eines machen. Vom Propaganda-Modus auf den Informations-Modus umschalten und die Gründe, die zum Scheitern von Jamaika geführt haben, für die Bürger verständlich aufbereiten. Ich möchte schon genau wissen, zu welchen Zugeständnissen die Verhandlungspartner bereit waren und was wir fast bekommen hätten, wenn es denn geklappt hätte. Die Wähler in Bayern interessiert es sicher auch, wie weit sich die CSU mit den Grünen ins Bett legen wollte. Da haben wir Anfang 2018 Landtagswahlen.

Eines ist klar. Die AfD ist nicht schuld. Die darf nicht mitspielen. Wollen wir mal orakeln? Das wäre vielleicht zu viel gesagt. Wollen wir einmal raten? Am Ende gibt es eine Neuauflage der GroKo. In Hannover hat man das gerade vorgemacht.

Und wenn es doch zu Neuwahlen kommt? Wer würde verlieren und wer gewinnen? Wer hat das größte Risiko, sich zu verschlechtern?

Davon ausgehend, dass der Wähler die AfD nicht als Schuldige ausmachen kann, weil sie an dem ganzen Drama nicht beteiligt war und auch in der für die Mehrheit der Wähler wichtigen Flüchtlingsfrage nicht als Umfaller-Partei gesehen werden kann, müsste sie eigentlich gewinnen. Nicht dramatisch, aber vielleicht um ein oder zwei Prozentpunkte. Entscheidend für das Ergebnis der AfD dürfte aber auch sein, wie die Wähler das Verhalten der FDP bewerten.

Die FDP hat das Potential, sich nach oben oder unten zu verändern. In welche Richtung es geht, damit dürfte auch die Zukunft von Christian Lindner verknüpft sein. Geht es nach unten, weil es den der SPD nahe stehenden Medien (und das sind viele) gelingt, sie zum Buhmann zu stempeln, kann es unter 10 Prozent gehen. Dann hätte Lindner zu hoch gepokert und wird dafür die Quittung seiner Partei bekommen. Geht es nach oben, weil die Wähler es honorieren, dass sich die FDP gerade von einer traditionell opportunistischen Partei zu einer standhaften Partei entwickelt hat, die Ideale zu haben scheint und nicht jeden Mist mitmacht, um mitregieren zu können, dann könnte sie ihr Wahlergebnis um ein paar Prozentpunkte nach oben verbessern. 14 oder 15 Prozent für die FDP, möglicherweise bei einer zugleich unter 20 Prozent fallenden SPD, und Christian Lindner wäre der Held. Die AfD müsste in dem Fall damit rechnen, ebenfalls an die FDP abzugeben.

Wenn die SPD bei ihrem bisherigen Kurs der Totalverweigerung bleibt und es zu Neuwahlen kommt, werden ihr das viele Wähler anlasten. Wenn sie dann noch bei ihrem Spitzenkandidaten bliebe und es nicht schafft, sich in Windeseile personell neu aufzustellen, wäre das Projekt 20 Prozent minus X sicher erfolgreich.

Die CDU hat ein ähnliches Problem. Das Problem Angela Merkel und das Problem, dass die in der Vergangenheit viele wirklich vorstellbare Nachfolger beseitigt hat. Mit Merkel und mit der Aussage im Hinterkopf, dass sie es mit den Grünen gemacht hätte, wird die CDU kaum dazugewinnen können.

Die Linken haben sicher das Potential, weiter zuzulegen. Sie sind, wie die AfD, nicht am Drama beteiligt und man kann ihnen keine Schuld vorwerfen. Gleichzeitig konkurriert sie nicht mit der FDP, die ihr Wähler wegschnappen könnte. Darum kann man sich hier relativ sicher sein, dass es nach oben ginge.

Und die Grünen? Sie tragen eine Mitschuld am Scheitern von Jamaika, weil sie sich in Kernpunkten dann am Ende doch nicht genug bewegt haben. Etwa in der Frage des Familiennachzuges für Flüchtlinge und beim Klimaschutz. Ihre Wähler dürften das aber positiv werten. Die Grünen haben, und ich muss sagen leider, das Potential, weiter zuzulegen. Ob sie das können, hängt aber auch stark von der CDU und der Frage ab, ob Angela Merkel Spitzenkandidatin bleibt. Merkel hat im Grunde eine Koalitionsaussage in Richtung grün gemacht. Wird sie abgelöst und die CDU distanziert sich glaubhaft von den Grünen, sieht das anders aus.

Es bleibt jedenfalls spannend. Warten wir mal ab, was man den Wählern noch alles zumuten wird. Wenn am Ende wenigstens die Kanzlerschaft von Angela Merkel beendet wäre, könnte ich dem Ganzen wenigstens noch etwas Positives abgewinnen.