Das Medizinstudium dem Bedarf anpassen

Schaumburg. Wie sieht die Zukunft der ärztlichen Versorgung in den Landkreisen Schaumburg und Hameln-Pyrmont aus? Wo liegen mögliche Probleme? Welche Lösungen sind denkbar? Darüber diskutieren in den beiden Landkreisen Fachleute, Wissenschaftler und Kommunalpolitiker im Rahmen der Innovationsgruppe UrbanRural Solutions. Es handelt sich um ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstütztes Projekt, bei dem man sich in verschiedenen Untersuchungsregionen Gedanken um die kommunale Daseinsvorsorge macht. Dabei sollen Wissenschaft und Praxis gemeinsam praxistaugliche innovative Lösungen entwickeln.

Untersuchungsregionen sind Göttingen-Osterode, der erweiterte Wirtschaftsraum Hannover und die Stadt Köln. Innerhalb der Untersuchungsregionen gibt es verschiedene Schwerpunkte. In den beiden Landkreisen Schaumburg und Hameln-Pyrmont geht es um die ärztliche Grundversorgung der Bevölkerung in der Zukunft, womit primär die hausärztliche Versorgung gemeint ist.

Am 17. Mai 2017 trafen sich in der Region tätige Ärzte, Geschäftsführer der großen Kliniken in beiden Landkreisen, Vertreter der Kassenärztlichen Vereinigung, Vertreter von Versicherungen, Mitarbeiter der Kommunalverwaltungen, Fachleute für den öffentlichen Nahverkehr, Kreistagsabgeordnete, Stadträte und Wissenschaftler zu einem Workshop, um über Probleme und Herausforderungen zu diskutieren. In einem weiteren Workshop sollen dann Lösungsvorschläge erarbeitet werden.

Noch wird die hausärztliche Versorgung in beiden Landkreisen als gut beurteilt, was bedeutet, dass der Großteil der Bevölkerung einen Hausarzt in einer zumutbaren Zeit zu Fuß, per Rad, per Auto oder per öffentlichem Verkehrsmittel erreichen kann. Jedoch gibt es viele Hausärzte im Alter von 63 Jahren, die voraussichtlich in den nächsten 4 bis 5 Jahren altersbedingt aus dem Beruf gehen werden. Auch dann wird sich die ärztliche Versorgung in der Region noch nicht dramatisch verschlechtern. Jedoch sind auch viele Ärzte nicht weit vom Erreichen des 60. Lebensjahres entfernt und die werden dann in einem zweiten Schritt die nächsten sein, die für die Versorgung der Bevölkerung verloren gehen.

Das Hauptproblem ist, dass die Nachbesetzung der frei werdenden Arztsitze schwierig ist, während gleichzeitig die Nachfrage nach ärztlichen Dienstleistungen aufgrund des demographischen Wandels steigt. Wir bräuchten also eigentlich in Zukunft mehr Ärzte, aber es zeichnet sich das genaue Gegenteil ab. Nicht nur, aber besonders in ländlichen Gebieten.

Dazu, aus welchen Gründen es schwierig ist, junge Ärzte in ländliche Regionen, Klein- und Mittelzentren zu holen, fiel den Experten einiges ein.  Dazu gehörten die Ausbildung der Mediziner, also das Medizinstudium, und neue Lebensmodelle der Absolventen, die mit den vorhandenen Strukturen nicht mehr vereinbar seien.

Um es einmal zusammenzufassen, wird das von einigen wie folgt gesehen. Viele junge Absolventen wollten nicht mehr ganztags arbeiten, sondern vielleicht nur halbtags oder nur 3 Tage in der Woche. Sie wollten auch noch etwas anderes mit ihrem Leben anfangen, sei es Freizeitgestaltung oder das Familienleben. Deshalb sei auch die Infrastruktur vor Ort sehr wichtig, um diese Absolventen überhaupt in die Fläche zu locken. Wer nur in Teilzeit arbeiten möchte, der sei natürlich auch nicht bereit, unternehmerische Risiken einzugehen. Die Einzelpraxis, in der ein Arzt weit mehr als 40 Stunden in der Woche arbeitet und für die er allein das volle unternehmerische Risiko trägt, scheint vom Aussterben bedroht zu sein. Kaum jemand sei noch bereit, 100.000 Euro für eine bestehende Praxis zu bezahlen. Die Praxen seien auch oft zu verwinkelt und nicht mehr zeitgemäß, etwa nicht behindertengerecht. Junge Ärzte wollten in einer ganz anderen Umgebung arbeiten. Zum Beispiel in Gemeinschaftspraxen oder Medizinischen Versorgungszentren. Auch Praxisstrukturen, die an Krankenhäuser angegliedert sind, wurden als Möglichkeit genannt. Die neuen Lebensmodelle, die von jungen Medizinern offenbar gewünscht werden, also weniger Arbeit und mehr Zeit für andere Dinge, sind wohl besonders auf den Umstand zurückzuführen, dass die meisten Absolventen eines Medizinstudiums weiblich sind. Während bereits zu Beginn des Studiums 60 Prozent der Studenten weiblich sind, geben wohl im Verlauf des Studiums überwiegend Männer das Studium auf oder migrieren am Ende wegen der besseren Einkommensmöglichkeiten ins Ausland, etwa in die Schweiz, so dass am Ende 80 Prozent der Berufsanfänger weiblich sind. Die Medizin wird also weiblich. Mehrfach war von Generation Y die Rede. Es kommen immer mehr junge Ärztinnen im Alter von 24 bis 25 Jahren in den Beruf, die mehr Wert auf geregelte Arbeitszeiten und Teilzeitmodelle legen. Daher müssten künftig drei junge Ärztinnen ausgebildet werden, um zwei in Pension gehende Ärzte zu ersetzen.

Als ein Grund, warum im Verhältnis viel mehr Frauen ein Medizinstudium beginnen, wurde der Numerus Clausus benannt und dass mehr Frauen entsprechende Abiturnoten hätten.

Aber es sind nicht nur die Abiturnoten. Das deutsche Ärzteblatt schrieb bereits 2008, dass viele Männer sich gar nicht mehr für das Medizinstudium interessierten, weil das Prestige des Arztberufes und die Gehälter erheblich gesunken seien. Abiturienten würden sehen, dass man in anderen Berufen mit weniger Verantwortung mehr Geld verdienen kann. Frauen würde ein hohes Einkommen nicht ganz so viel bedeuten, sondern es gehe ihnen eher um Teilzeitmodelle, die sich besser mit der Familienplanung vereinbaren ließen. In der Diskussion wurde bemerkt, dass viele junge Ärztinnen ja auch nicht Alleinverdiener seien, sondern Partner hätten, die ebenfalls in einem akademischen Beruf arbeiten würden. Die seien teilweise auch beruflich an größere Städte gebunden.

Aus meiner Sicht haben wir also ein Problem. Das Medizinstudium ist für den Staat, sprich für die Steuerzahler, der teuerste Studiengang überhaupt. Es kostet 200.000 Euro für einen Absolventen. Diejenigen, die das studieren, können oder wollen aber mehrheitlich nicht mehr in Vollzeit arbeiten oder sich selbständig machen. Da muss man doch sagen, dass der Input, nämlich die 200.000 Euro, und der Output, nämlich lauter junge Damen, die nur in Teilzeit an der medizinischen Versorgung der  Bevölkerung teilnehmen, nicht zusammen passen. Wenn ich 1,5 bis 2 Absolventinnen brauche, um einen Arzt von heute zu ersetzen, dann kostet die Ausbildung eines in Vollzeit tätigen Mediziners künftig 300.000 bis 400.000 Euro. Hinzu kommen die, deren Studium in Deutschland ebenfalls 200.000 Euro kostet, die aber nachher überhaupt nicht an der medizinischen Versorgung der Bevölkerung teilnehmen. Weil sie ins Ausland gehen oder dann doch noch in einen anderen Beruf gehen. Da muss man sich schon fragen, ob es aus ökonomischer Sicht die Richtigen sind, die Medizin studieren.

Wir müssen es hinbekommen, dass wieder mehr Männer Medizin studieren, die ihren Beruf auch in Vollzeit ausüben und damit ihren Lebensunterhalt verdienen wollen. Und zwar in Deutschland und nicht im europäischen Ausland. Wie kann man das machen?

Eine Männerquote wäre eine Möglichkeit. Wenn man etwa sagen würde, dass mindestens 50 Prozent der Studienanfänger Männer sein müssen und, um diese Quote zu erreichen, dann bei den Männern den Numerus Clausus so weit absenken würde, dass diese Quote erfüllt wird. Nun bin ich aber gar kein Fan von Quoten, sondern immer der Meinung, dass es nach Qualifikation und Eignung gehen muss.

Also wäre die bessere Lösung, den Numerus Clausus für Medizin für alle Bewerber entweder erheblich abzusenken oder ganz abzuschaffen und die Abiturnote nur noch untergeordnet in die Bewertungskriterien für die Studienplatzvergabe einfließen zu lassen. Gleichzeitig könnte man verlangen, dass Absolventen bereits sehr früh, zum Beispiel nach dem Physikum und zu Beginn des klinischen Studiums, verpflichtend die Bereitschaft erklären müssen, für eine gewisse Zeit und auch in einem gewissen Umfang an der ärztlichen Versorgung der Bevölkerung teilnehmen zu wollen, wenn das Studium bis zum Staatsexamen kostenlos bleiben soll. Alternativ könnte man Absolventen, die eine solche Erklärung abgeben, mit Stipendien unterstützen und das könnten auch bereits Regionen machen, in denen der Absolvent dann anschließend tätig werden soll.

Die Anpassung der Zugangsbedingungen für Abiturienten könnte begleitet werden duch eine Öffnung des Zugangs zum Medizinstudium von unten. Wer in Gesundheits- und Pflegeberufen tätig ist, etwa als Krankenschwester oder -pfleger, weiß was es heißt, zu arbeiten. In der Regel in Vollzeit. Praktische Erfahrung, soziale Kompetenz und Lebenserfahrung würden diese Absolventen auch für ihren späteren Arztberuf mitbringen.

Keine Frage, auch die Attraktivität des Arztberufes an sich muss wieder zunehmen. Denn wenn es für bestens qualifizierte Männer keine Frage der Zugangsbeschränkungen mehr ist, ob sie ein Medizinstudium aufnehmen wollen oder nicht, sondern eine Frage von zu wenig Geld und Prestige bei gleichzeitig extrem hoher Verantwortung, dann wird man das Problem auch durch Lockerung des Numerus Clausus oder das Angebot von Stipendien nicht in den Griff bekommen.

Solange es Fakt ist, dass vorwiegend junge Ärztinnen die Universitäten verlassen, die sich neue Lebensmodelle und Teilzeitbeschäftigung wünschen und deshalb nicht einen sondern vielleicht nur einen halben Arzt von heute ersetzen können, hilft es nichts, dann muss man auch erst einmal die Anzahl der Studienplätze erheblich erhöhen.

Wenn man, wie im Workshop von jemandem vorgeschlagen, darüber nachdenkt,  deutsche Studenten für das vorklinische Studium  vermehrt ins Ausland zu schicken, etwa nach Ungarn, damit sie dann für ihr Hauptstudium nach Deutschland wechseln und hier frei gewordene Studienplätze belegen können, immerhin eine interessante Möglichkeit, sollte man doch besser die Kapazität im Inland erhöhen und dafür sorgen, dass die Auswahl zielorientierter erfolgt.

Wie man es schaffen kann, trotz dieser widrigen Umstände auch in Zukunft ausreichend viele Ärzte in den eigenen Landkreis oder die eigene Kommune zu holen, dazu gab es im Workshop einige Vorschläge. Am Ende sollten die Teilnehmer bewerten, wie hoch sie die Handlungsmöglichkeiten der beteiligten  Personengruppen zur Lösung der Herausforderungen einschätzen. Eine große Mehrheit kam zu dem Schluss, dass Ärzte, Kliniken, Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigung dabei eine sehr wichtige Rolle spielen. Auch die Handlungsmöglichkeiten von Lokalpolitik und Bürgermeistern bzw. Landräten wurden noch recht hoch eingeschätzt.

Keine Frage dürfte wohl sein, dass der großen Politik in Bund und Ländern hier eine ganz entscheidende Bedeutung zukommt.

Die Zeiten, in denen man das Problem in dieser Weise abgetan hat, sind wohl vorbei: „Der Ärztemangel ist ein Mythos der Lobbygruppen der Mediziner. Es gibt genug Absolventen und Einwanderer, um die aus dem Berufsleben scheidenden Ärzte zu ersetzen. Lediglich die regionale Verteilung der Ärztedichte ist ein Problem. Wichtig ist nicht die Nationalität der Mediziner, sondern nur, wie hoch die Differenz zwischen zu- und abgewanderten Ärzten in und aus Deutschland ist.“ Zu solchen Schlüssen kam 2013 eine Studie des Institutes der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.

Zu ganz anderen Ergebnissen kam dann auch 2015 die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Verglichen mit anderen OECD-Ländern seien die Zukunftschancen des deutschen Gesundheitssystems weit weg vom internationalen Mittelwert oder gar von der Führungsgruppe. Die Schlüsselzahlen würden in Richtung Kollaps weisen. Die Ärzteschaft seit überaltert und es werde dringend dazu geraten, zur Rettung des Gesundheitssystems Ärzte aus dem Ausland zu holen.  Dass dürfte aber wohl kaum die Lösung sein, die sich die Bürger wünschen.

(Dr. Jens Wilharm, Fraktion Alternative für Schaumburg im Kreistag Schaumburg)

SPD Niedersachsen: Stephan Weils Steuerträume

Nur einen Tag nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen stellte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) gestern ein eigenes Steuerkonzept für den Bundestagswahlkampf vor. Das Konzept sieht vor, den Solidaritätszuschlag (Soli) abzuschaffen und Reiche mehr zur Kasse zu bitten. Im Detail soll der Steuersatz für Geringverdiener geringfügig gesenkt und bereits für mittlere Einkommen erheblich erhöht werden.

Ein Steuersatz von 24 Prozent soll nun nicht bereits ab einem Bruttoeinkommen von 9.000 Euro, sondern erst ab 24.000 Euro greifen. Eine Krankenschwester, die 30.000 Euro brutto verdient, würde dann 500 Euro im Jahr sparen. Bereits Einkommen ab 58.000 Euro sollen aber mit 45 Prozent besteuert werden (bisher 42). Der Spitzensteuersatz soll auf 49 Prozent ansteigen.

Der Vorsitzende der Kreistagsfraktion Alternative für Schaumburg, Dr. Jens Wilharm, findet für Weils Steuerpläne klare Worte: „Deutschland hat die höchste Steuer- und Abgabenlast weltweit. Nur in Belgien ist sie noch geringfügig höher. Auf das Arbeitgeber-Brutto eines alleinstehenden Durchschnittsverdieners fallen in Deutschland bereits jetzt 49,4 Prozent an Steuern und Abgaben an. Gleichzeitig sinken die Reallöhne in Deutschland seit Jahren. Daher ist jede Entlastung der Bürger zu begrüßen.

Die Abschaffung des Soli, dessen ursprünglicher Zweck längst überholt ist, ist gar keine schlechte Idee. Das Gesamtkonzept geht aber schon deshalb völlig an den Realitäten vorbei, da sich Herr Weil offenbar eine sehr fragwürdige Definition von arm und reich zu eigen macht. Wer 58.000 Euro brutto im Jahr verdient, der verdient vielleicht auf dem Papier gut, aber der ist nicht reich. Das sind mittlere Einkommen und es sind Einkommen, die häufig von Selbständigen erzielt werden. Die ohnehin schon viel zu hohen Steuersätze noch weiter zu erhöhen, mag für nicht wenige kleine Unternehmen das Aus bedeuten.

Natürlich brauchen wir eine Steuerreform. Das Ziel muss aber sein, mittlere Einkommen zu entlasten und nicht, sie noch mehr zu belasten. Es ist nicht damit getan, die Steuersätze zu erhöhen oder zwischen Gering- und Mehrverdienern zu verschieben, aber das System ansonsten zu belassen. Das ist nicht mehr als eine Verschlimmbesserung, die als einzigen positiven Nebeneffekt eine geringfügige Entlastung kleiner Einkommen mit sich bringt. Die Steuergerechtigkeit wird dadurch nicht wirklich erhöht. Und mal ehrlich, wenn eine Krankenschwester, die 30.000 Euro verdient, künftig monatlich 40 Euro mehr netto zur Verfügung hat, ist das zwar schön, wird ihren Lebensstandard aber nicht wirklich heben.

Wer den Bürgern Geld geben will, der soll erstmal zusehen, dass die von ihnen erwirtschafteten Steuermilliarden auch ihnen unmittelbar zugute kommen und nicht zweckentfremdet werden. Solange der Bund 23 Milliarden Euro pro Jahr für Flüchtlinge ausgibt, solange ein unbegleiteter Flüchtling  etwa in meinem Landkreis durchschnittlich 5.000 Euro pro Monat kostet, solange Deutschland mit hunderten Milliarden Euro für die Euro-Rettung haftet und solange die Energiekosten in Deutschland doppelt so hoch sind wie in Frankreich, ist es wenig glaubwürdig, so zu tun, als wolle man sich ernsthaft um das finanzielle Wohl der eigenen Bürger kümmern.

Wir brauchen eine spürbare Entlastung für alle und eine steuerliche Entlastung gerade auch für mittlere Einkommen und ganz besonders für Familien. Beispielsweise durch Einführung eines Familiensplittings und Absenkung der Mehrwertsteuer, ganz besonders für Kinderprodukte des täglichen Bedarfs. Hiervon würden auch Bezieher kleiner Einkommen profitieren, und zwar bei jedem Einkauf.

Mit seinem Vorstoß fährt Weil dem SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz auch direkt in die Parade, der es bisher immer abgelehnt hat, den Soli abzuschaffen. Will sich da jemand für noch höhere politische Weihen in Position bringen, wo Schulz doch nach 3 verlorenen Landtagswahlen am Boden liegt und Hannelore Kraft sich selbst vernichtet hat?“ (jw)

NRW-Wahl: Klatsche für rot-grün, FDP stark dank Angst vor der AfD

Nordrhein-Westfalen hat gewählt. Für die kommende Bundestagswahl ist das Ergebnis dieser Landtagswahl durchaus von Bedeutung, denn immerhin ist NRW das bevölkerungsreichste Bundesland, aus dem bei der kommenden Bundestagswahl jeder 5. Wähler kommt. Und auch für die Landtagswahl in Niedersachsen im Frühjahr 2018 mag dieses Ergebnis seine Schatten voraus werfen. Auch dort regiert eine rot-grüne Koalition,

Die Mehrheit der Bürger in Nordrhein-Westfalen hat von der SPD und den Grünen offenbar die Nase voll. Es gibt eine deutliche Mehrheit für Parteien, die nicht links der Mitte wahrgenommen werden, auch wenn das sich nicht unbedingt mit den Realitäten deckt. Denn mindestens die CDU ist unter ihrer dünnen schwarzen Schale in Form einer neuen bürgerlichen Leitkultur immer noch genauso rot wie die SPD. Wie könnte es anders sein, solange die aus dem Sozialismus importierte Angela Merkel immer noch Bundeskanzlerin ist. Doch die Wähler haben der CDU den neuen Kurs offenbar abgekauft. Das ist das, worauf es ankommt.

CDU (33%), FDP (12,6%) und AfD (7,4%) haben in NRW zusammen 53 % der Stimmen erhalten. Da die Linke die 5-Prozent-Hürde nicht geschafft hat, haben sie zusammen sogar 58,3 % der Sitze im neuen Landtag. Das will in einem Bundesland, in dem sehr viel klassisches SPD-Klientel zu Hause ist, schon etwas heißen.

Der wirkliche Hammer sind die 12,6 % für die FDP. Bereits in der Vorwoche hatte die FDP bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein 11,5 % geholt. Und das, obwohl in beiden Ländern die Spitzenkandidaten der FDP, Christian Lindner und Wolfgang Kubicki, erklärt haben, nicht die dortige Landtagsfraktion anführen zu wollen, sondern bereits in vier Monaten in den Bundestag einziehen zu wollen. Lindner sagte, er habe immer gesagt, dass seine Zukunft in der Bundespolitik liege.

Für die Wähler der FDP spielte also das Spitzenpersonal offenbar keine Rolle, weil es auf dem Sprung nach Berlin ist. Da muss es andere Gründe geben. Eine am Wahlabend vom WDR veröffentlichte Umfrage zu den Ansichten der Wähler über die AfD ergab, dass 88 % der Meinung waren, die AfD sei zu zerstritten. 86 % sollen angegeben haben, die AfD distanziere sich nicht genug von rechtsextremen Positionen. Obwohl 40 % der Meinung waren, die AfD habe besser als die anderen Parteien verstanden, dass sich viele Menschen nicht mehr sicher fühlen, schenkten sie der Partei nicht ihr Vertrauen. Hier sehen wir nun den mutmaßlichen Grund für die Stärke der FDP. Die 12,6 Prozent holt die FDP ja auch nicht mit Stammwählern. Viele Wähler aus dem bürgerlich-konservativen Lager wollten eine Alternative wählen, aber sie wollten aus den beiden genannten Gründen nicht die AfD wählen. Als einzig noch verbliebene Alternative wählten diese Wähler dann FDP. Es ist gut möglich, dass ein deutlicher Anteil der Stimmen, die die FDP bei der NRW-Wahl eingefahren hat, eigentlich Stimmen sind, die die AfD hätte bekommen können. Und hätte bekommen müssen. Wenn sie sich nicht als zerstrittener Haufen präsentieren und sich deutlicher vom rechten Rand distanzieren würde. Auch die CDU dürfte davon profitiert haben.

Hier sind wir nun bei einem Dilemma, in dem sich die AfD leider befindet. Dass der Wähler die Zerstrittenheit der Partei nicht honoriert, dürfte auch in der AfD niemand bestreiten, egal welchem der streitenden Lager er angehört. Ganz anders sieht es aus mit der Frage, ob sich die Partei ausreichend vom rechten Rand distanziert und ob sie das überhaupt tun sollte. Darum kann man das Problem, das offenbar 86 % der befragten Wähler in NRW mit der AfD hatte, nämlich die nicht ausreichende Distanzierung, nicht lösen, ohne sich mit denen zu streiten, die das anders sehen. Es bleibt also nur, sich einig zu präsentieren und über dieses Problem hinwegzusehen bzw. der Meinung zu sein, dass es das Problem gar nicht gibt. Oder aber, dem Rechtsextremismus nahestehende Erscheinungen in der Partei zu bekämpfen und sich zu streiten. Das ist eine Gratwanderung für alle Beteiligten, die sich ja letzten Endes darin einig sind, den etablierten Parteien und den Konsensparteien so viel Boden abgraben zu wollen, wie es nur irgend möglich ist. Und die Bundestagswahl rückt immer näher. Die Landtagswahl in Niedersachsen auch.

In Niedersachsen ist das Terrain für die AfD nicht leichter. Bei uns in Niedersachsen gibt es ebenfalls eine rot-grüne Landesregierung. Die macht bei den Themen, die für die Wähler in NRW wichtig waren, nämlich Asyl- und Flüchtlingspolitik, innere Sicherheit und Bildung, auch nicht unbedingt einen besseren Job, aber das wird medial nicht so wahrgenommen.

Eine Kölner Silvesternacht oder einen Terroranschlag auf einen Weihnachtsmarkt, in Kombination mit den Fehlleistungen eines Innenministers Ralf Jäger, gab es bisher zum Glück in Niedersachsen nicht. Aber die inzwischen ganz normale Kriminalität durch Migranten und Flüchtlinge haben wir in Niedersachsen natürlich auch. Und auch hier rückt man ungern mit der ganzen Wahrheit heraus, wenn jemand vergewaltigt, niedergestochen oder ausgeraubt wurde.

Auch in Niedersachsen hat man sich seitens der Landesregierung und der Kommunalverwaltungen in geradezu gleichmütiger Weise auf einen fortgesetzten Flüchtlingsstrom eingerichtet. Ein Rückgang wird in den nächsten Jahren nicht erwartet. Integration heißt das Zauberwort. Koste es, was es wolle.

Auch in der rot-grünen Bildungspolitik spielt Integration eine wichtige Rolle. Ein Absinken des Bildungsniveaus derer, deren Familien schon länger hier leben, wird in Kauf genommen. Die Inklusion kommt als rot-grünes Lieblingsprojekt hinzu.

Auch in Niedersachsen stehen CDU und FDP in den Startlöchern und behaupten, einen Wechsel herbeiführen zu wollen.

Und die AfD? Der Landesverband Niedersachsen unterscheidet sich grundlegend vom Landesverband NRW.

In NRW hat man sich mehrheitlich auf einen realpolitischen Kurs im Sinne von Frauke Petry geeinigt, deren Ehemann einer von zwei Landesvorsitzenden ist. Die meisten Kandidaten der Landesliste, die soeben in den Landtag gewählt wurden, dürften diesem Kurs folgen. Dennoch gibt es in NRW auch ein Lager, das eher dem rechtsnational-patriotischen Flügel nahe steht. Der scheint in NRW nicht zu dominieren, ist aber doch hinreichend präsent, dass der innerparteiliche Streit innerhalb des Landesverbandes wahrgenommen wird. Den Rücktritt von 4 Mitgliedern des Kölner Kreisvorstandes 2 Tage vor der Landtagswahl, der zumindest medial aus Protest gegen einen realpolitischen Kurs erfolgte, kann man  wohl als beabsichtigtes Störfeuer der Gegner von Frauke Petry und Marcus Pretzell interpretieren.

In Niedersachsen kann man den gesamten Landesverband, zumindest den Landesvorstand und auch eine Mehrheit der Kreisvorstände, in der Nähe des rechtsnational-patriotischen Flügels verorten. Hier haben genau die anderen Kräfte der Partei die Oberhand. Im Unterschied zu NRW ist eine innerparteiliche Opposition hier allerdings nicht mehr wahrnehmbar. Viele der noch Ende 2016 aktiven innerparteilichen Gegner wurden erfolgreich bekämpft oder haben freiwillig das Handtuch geworfen. Der Landesverband kann sich nach außen hin also einig präsentieren. Das wäre dann der genau umgekehrte Fall. Keine zerstrittene Partei, aber eine Distanzierung vom rechten Rand ist kein Thema. Wie es die Wähler wahrnehmen, kann man heute gar nicht sagen. Ich entnehme aus Gesprächen mit manchen Bürgern, dass die Zerstrittenheit extrem negativ wahrgenommen wird und die Frage, ob die AfD nun etwas mehr oder etwas weniger nach rechts tendiert, gar nicht so entscheidend ist. Viele meinen, dass die Parteienlandschaft in Deutschland ganz gut eine Rechtspartei gebrauchen kann. Aber die, die mir das sagen, meinen nicht automatisch, dass auch das Überschreiten von Grenzen in Bereiche, die eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz rechtfertigen, o.k. ist. Ich kenne mindestens ebenso viele Bürger, für die die AfD gerade wegen der ihrer Meinung nach unzureichenden Abgrenzung vom Rechtsextremismus keine Option ist.

Bis zur Landtagswahl in Niedersachsen mag sich noch einiges ändern. Aus heutiger Sicht muss man auch hier damit rechnen, dass die FDP stark sein kann und sich den Wählern als Alternative zu den Regierungsparteien ohne Tendenzen zum rechten Rand anbietet. Bis dahin kann sie allerdings bereits selbst Regierungspartei in Berlin sein. Als Partner einer von Frau Merkel geführten CDU könnte sie ihren Bonus als vermeintliche Alternative zu den Regierungsparteien dann verlieren. Das käme der AfD Niedersachsen zugute. Wie sich das alles im nächsten Frühjahr auf das Wahlergebnis in Niedersachsen auswirken wird, mag ein Stück weit Kaffeesatzlesen sein. Aber die AfD Niedersachsen mag gut daran tun, sich die Wahlergebnisse in NRW und Schleswig-Holstein genau anzuschauen. Und ihre Schlüsse daraus ziehen. Insbesondere der Umstand, dass 40 % der Wähler in NRW glauben, die AfD hätte besser als alle andere Parteien verstanden, dass sich viele Menschen nicht mehr sicher fühlen, offenbart ein eigentlich riesiges Potential. Im Moment stellt sie sich in Niedersachsen für bürgerlich-gemäßigte Wähler aber nicht als Alternative dar. Mit Blick auf die Landtagswahl muss sich die AfD Niedersachen dem bürgerlich-gemäßigten Lager stärker öffnen, um wenigstens einen Teil derjenigen zurückzuholen, die neuerdings wieder mit der FDP liebäugeln. Das geht nicht ohne vernunftbasierte Umdenkprozesse. Die muss man wollen.

Die Alternative wäre, mit der Brechstange den Beweis antreten zu wollen, dass eine als ultrarechts wahrgenommene Partei in einem westlichen Bundesland die 5%-Hürde schafft. (jw)

Es geht uns gut?

Glaubt man den Politikern der Regierungsparteien, dann geht es den Deutschen verdammt gut. So gut, dass man ihnen das immer wieder sagen muss, damit sie es auch glauben. Und so tingeln die Zugpferde von SPD und CDU auch derzeit durch die Lande und werden nicht müde, denjenigen, die ihnen zuhören, genau das immer wieder zu erzählen. Wir haben Wahlkampf und was soll man auch sagen, wenn man einer Regierungskoalition angehört, die im Grunde jedes in sie gesetzte Vertrauen verspielt hat. Da kann man ja nicht einfach sagen: “Es tut uns leid. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und in Zukunft wollen wir alles besser machen.“ Nein, da muss man schon so tun, als habe man alles richtig gemacht. „Es geht uns verdammt gut“, das sagte auch Jens Spahn, Spitzenpolitiker der CDU und parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, in einer Rede auf der Schaumburger Regionalschau am 7. Mai 2017 immer wieder. So oft, dass das schon sehr auffällig war. Und am Ende noch einmal: „Und vergessen Sie nicht, es geht uns verdammt gut!“.

Verdammt gut geht es uns auch in meinem Landkreis, dem Landkreis Schaumburg. Die konjunkturelle Lage könnte besser nicht sein. Die Gewerbesteuer-Einnahmen sprudeln. Die Arbeitslosenquote ist mit aktuell 5,9 Prozent so niedrig wie nie. Warum sollte man sich da nicht freuen? Natürlich ist es gut, wenn die Zahlen stimmen.

Doch wem geht es eigentlich gut? Gemeint ist, dass es der Wirtschaft gut geht. Ob es den Bürgern auch gut geht, das ist etwas anderes. Es sei denn, man unterstellt, wenn es der Wirtschaft gut geht, dann ginge es automatisch auch den Bürgern gut, weil die ja schließlich in eben dieser Wirtschaft beschäftigt sind. Wenn die Wirtschaft brummt, dann heißt das, es gibt weniger Arbeitslose, die Wirtschaft erzielt Gewinne und die Steuern fließen. Das bringt dem Staat Geld. Der Staat sind wir alle. Oder sollten eigentlich wir alle sein. Also geht es uns auch allen gut, wenn es der Wirtschaft gut geht? Es könnte so sein, denn das eine hat zweifelsohne mit dem anderen zu tun. Aber wenn die Steuergelder, die dank der Arbeitsleistung der Bürger mehr eingenommen werden, dann gar nicht dazu verwendet werden, damit es den Bürgern gut geht, sondern für ganz andere Zwecke ausgegeben werden, kann man doch nicht sagen, es geht UNS gut. Dann geht es eben nur der Wirtschaft gut, aber nicht den Bürgern. Jedenfalls nicht denen, die schon länger hier leben, wenn man einen  aktuellen Vergleich mit anderen westlichen Industriestaaten anstellt. Gut geht es vielleicht denjenigen, die noch nicht so lange hier leben, wenn man einen Vergleich mit ihren Herkunftsländern zieht.

Den vorläufigen Höhepunkt der Kampagne „Es geht uns allen gut “ kann der geneigte Leser heute aus der Presse erfahren. „Der Staat schwimmt im Geld“ meldet heute beispielsweise meine Heimatzeitung. Aufgrund der guten konjunkturellen Lage könne der Staat in den nächsten 5 Jahren mit Steuer-Mehreinnahmen in Höhe von insgesamt 54 Milliarden Euro rechnen. Er wisse noch gar nicht, was er mit dem erwarteten Geldsegen alles anfangen solle. Es fehle noch ein Plan. Schon würden sich SPD und CDU darüber streiten, ob man nun die Steuern senken könne. Das Beste an dieser Prognose für die nächsten 5 Jahre ist, dass man im letzten der 5 Jahre, also am weitesten in der Zukunft, mit Mehreinnahmen von 16,6 Milliarden rechnet. Man rechnet hier also mit Geld, das man noch nicht hat und von dem man auch nicht sicher wissen kann, ob man es jemals haben wird. Und nimmt dieses Luftschloss, um den Bürgern zu vermitteln, es gehe ihnen gut.

Na ja, nehmen wir mal an, das träfe tatsächlich so zu. Wie kann man da in aller Ernsthaftigkeit meinen, man wisse noch gar nicht, was man mit diesem imaginären Geldsegen anfangen solle? Für jeden Bürger der rechnen kann, dürfte das angesichts einer Staatsverschuldung von 2100 Milliarden Euro keine Frage sein. Schulden tilgen. Doch bevor man an Schuldentilgung in nennenswerter Höhe denken kann, gibt es da wohl zunächst noch ein paar andere Probleme, die es in unserem Land gibt und die dieses Geld komplett aufsaugen werden.

Der Bund hat im Jahr 2016 23 Milliarden Euro für Flüchtlinge aufgewendet. Das waren ein paar Milliarden mehr als geplant. Das sind offizielle Zahlen. Es gibt da noch ganz andere. Die Flüchtlinge sind so gut wie alle noch da und es kommen immer mehr dazu. Zur Zeit wieder besonders viele. Von Verabschiedungskultur wollen die Regierungsparteien und die Konsensparteien nichts hören. Hinzu wird der Familiennachzug kommen, wenn die Wähler diesen Parteien nicht bei den kommenden Wahlen in diesem Jahr die rote Karte zeigen. Und das werden sie nicht machen,  denn es geht uns ja allen gut. Bei den 23 Milliarden wird es also nicht bleiben und die für 2017 und 2018 prognostizierten Steuer-Mehreinnahmen von 7,9 bzw. 5,6 Milliarden Euro dürften dringend für weitere Flüchtlinge gebraucht werden. Nicht gerechnet sind die Kollateralschäden, die der ungebremste Zustrom von Flüchtlingen mit sich bringt. Etwa in Form von Kriminalität und Terror.

Es geht uns allen gut? Ein deutscher Durchschnitts-Rentner bekommt 800 Euro weniger Rente als ein Österreicher. Altersarmut ist für immer mehr Bürger bittere Realität. Die Real-Löhne entwickeln sich seit Jahren nach unten. Das Lohnniveau der Deutschen  wird im Vergleich der von der OECD (Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit) untersuchten Länder immer weiter nach hinten durchgereicht. Deutschland entwickelt sich langsam aber sicher zu einem Niedriglohn-Land. Zinsen auf Erspartes gibt es dank der Zinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) nicht mehr. Gleichzeitig ist die Steuer- und Abgabenlast in Deutschland so hoch wie in fast keinem anderen Land. Lediglich in Belgien ist sie noch höher. Vom Arbeitgeber-Brutto eines alleinstehenden Durchschnittsverdieners, also dem, was ein Arbeitgeber für einen Angestellten insgesamt bezahlt, werden in Deutschland bis zu 49,4 % Steuern und Abgaben abgezogen. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Deutschland haftet im Rahmen der Target-2-Salden inzwischen in Höhe von 850 Milliarden Euro für die Exportüberschüsse der eigenen Industrie. Und da gehen Politiker der Regierungsparteien her, klopfen sich auf die Schulter und wollen den Bürgern erzählen, es gehe ihnen gut? Nein, das kann es nicht sein.

Wie lange werden die, die schon länger hier leben, den Politikern, die das schon länger machen, denn noch ihr Vertrauen schenken? Ich habe die Befürchtung, dass sie es noch lange tun könnten. Zu lange.

Was man tun kann, wenn man das erkannt hat, ist aber, neben der richtigen Wahlentscheidung für sich selbst, dieser „Es geht uns allen gut“-Kampagne, überall und so oft es geht, entgegenzutreten. Mit Fakten, die einfach niemand widerlegen kann, weil man sie schwarz auf weiß nachlesen kann. Etwa in den Veröffentlichungen der OECD oder des IFO-Institutes. (jw)

Das Vermächtnis des Trappenjägers

Von Dr. Jens Wilharm

An diesem Wochenende will sich die AfD Niedersachsen in Hannover ein Grundsatzprogramm geben. Auf 95 Seiten enthält der Leitantrag viele gute Beiträge, deren Inhalte in den Landesfachausschüssen in langwieriger Fleißarbeit erarbeitet wurden. Doch leider ziehen sich auch Inhalte durch den Leitantrag, die der Hauptverantwortliche für den Leitantrag, nämlich Programmkoordinator Uwe Wappler, maßgeblich zu verantworten hat. Der Uwe Wappler, der durch den Aufruf zur Trappenjagd auf innerparteiliche Gegner traurige Berühmtheit erlangt hat und trotzdem immer noch im Landesvorstand der AfD Niedersachsen als Programmverantwortlicher aktiv ist.

Der Leitantrag beginnt mit einer unterirdischen Präambel, die sich fundamental von der Präambel des AfD-Grundsatzprogrammes unterscheidet, in der noch davon die Rede ist, die Mitglieder der AfD seien Konservative und Liberale. So etwas sucht man im Wappler-Programmentwurf vergebens. Hingegen ist gleich im ersten Absatz davon die Rede, man wolle die landsmannschaftliche Kultur erhalten. In einem langen Satz, der schon vom Satzbau her wenig geschickt ist: „Im Bewusstsein und in der Wertschätzung unserer langen und reichen Geschichte, unserer christlich-abendländischen Kultur und unserer gewachsenen Sprache wollen wir unsere landsmannschaftliche Kultur bewahren und eine bessere Zukunft für unser Land Niedersachsen gestalten.“ Das hört sich nach vorgestern an.

Übrigens habe ich nichts gegen Landsmannschaften und Vertriebenenverbände. Wenn da aber steht „WIR wollen unsere landsmannschaftliche Kultur bewahren“, dann bin ich das nicht. Ich gehöre keiner Landsmannschaft an und es gibt auch keine landsmannschaftliche Tradition, die ich zu bewahren hätte. Die Formulierung bedient unnötig Ressentiments und gehört zumindest nicht in das Grundsatzprogramm einer modernen Partei.

Doch das ist erst der Anfang. In der Präambel ist dann immer wieder von den „Altparteien“ die Rede. Auch ich habe das schon öfter gesagt und auch geschrieben. Das kann man ja auch in Wahlkampfreden oder in einem Beitrag gerne mal verwenden. Aber im Grundsatzprogramm einer seriösen Partei ist diese Formulierung nicht glücklich.

Schlimmeres droht noch in Form des 68-seitigen Antragsbuches zum Parteitag, in dem einige Mitglieder mit Unterstützung von Herrn Wappler völlig neue Inhalte in das Programm bringen wollen, die nie zuvor in den Fachausschüssen mehrheitlich abgestimmt wurden. Die auch nicht konsistent mit dem Bundesparteiprogramm sind oder den gerade erst in Köln für das Bundeswahlprogramm gefassten Beschlüssen. Und die auch nicht mit der Mehrheitsmeinung in den Bundesfachausschüssen und der Bundesprogrammkommission vereinbar sind.

Die Gefahr ist groß, dass auf dem Parteitag an diesem Wochenende solche Anträge „durchrutschen“, denn das Antragsbuch wurde erst gestern Abend an die Mitglieder verschickt. Weniger als 2 volle Tage vor dem Parteitag! Man kann nicht davon ausgehen, dass alle stimmberechtigten Mitglieder Anträge in diesem Umfang in so kurzer Zeit gelesen und verstanden haben. Viele mögen sich auf die Empfehlung des Herrn Wappler verlassen.

Ich nehme einmal ein Beispiel, das den Programmentwurf des Landesfachausschusses Gesundheit betrifft. Da kenne ich mich gut aus, denn ich war selbst einmal Sprecher dieses Ausschusses und stellvertretender Sprecher des zugehörigen Bundesfachausschusses. Hier bringt ein Mitglied des Kreisverbandes Hannover erneut einen Antrag ein, der bereits auf dem Bundesprogrammparteitag in Köln für das Bundeswahlprogramm abgelehnt wurde. Der Antrag hat es in sich, da dessen Annahme darauf hinauslaufen würde, dass die AfD Niedersachsen die herkömmliche Privatversicherung abschaffen und ausnahmslos alle Bürger in die gesetzliche Krankenversicherung einbinden will. Das ist nichts anderes als die Bürgerversicherung, die SPD, Grüne und Linke schon immer gefordert haben. Wer, wie Herr Wappler, diesem Antrag als Programmverantwortlicher auch noch zustimmt und die Annahme des Antrages empfiehlt, hat entweder nie mit der Leitung der Bundesprogrammkommission oder des zuständigen Bundesfachausschusses über dieses Thema gesprochen und sich beraten lassen oder es fehlt ihm einfach der politische Weitblick. Davon abgesehen, hat das Thema eigentlich in einem Landesprogramm gar nichts zu suchen, denn die grundlegenden Strukturen der Krankenversicherung sind nicht Ländersache.

Ein weiteres Beispiel, dann soll es auch gut sein. Herr Wappler möchte dem Programmabschnitt zur Gesundheit gerne ein Kapitel hinzufügen, das bedeutet, die AfD Niedersachsen befürwortet Sterbehilfe. Er hat es offenbar selbst formuliert. Wenn man als Programmverantwortlicher in der AfD eines gelernt hat, dann sollte das eigentlich sein, dass die Themen Abtreibung und Sterbehilfe immer so viel Konfliktpotential beinhalten, dass man sie besser aus Parteiprogrammen herauslässt. Und zwar egal, ob man zu diesen Themen nun dem einen oder dem anderen Lager angehört. Alle Umfragen, auch bereits zu den Leitlinien 2014, haben das immer wieder gezeigt. Das sind für viele Mitglieder und auch Wähler extrem wichtige und emotional belegte Themen. Befürworter und Gegner halten sich immer etwa die Waage. Wer sich dazu in einem Parteiprogramm für eine Seite positioniert, der verprellt die andere Hälfte der Mitglieder und Wähler. Wenn sie denn das Programm lesen.

Insgesamt enthält dieser Leitantrag viele Probleme und Pferdefüße. Auch diejenigen, die etwa bei der Formulierung „landsmannschaftliche Kultur“ meinen Einwand nicht nachvollziehen können oder hierzu anderer Meinung sind, sollten an den genannten Beispielen verstehen, dass hier alle Aufmerksamkeit gefragt ist. Das ist nicht gegeben, wenn man das Antragsbuch, so wie ich, am Donnerstagabend um halb neun erhalten hat und am Samstagmorgen auf einem Parteitag über diese Anträge entscheiden soll. Man kann davon ausgehen, dass so gut wie niemand darüber im Bilde ist und Gelegenheit hatte, das mit Fachleuten zu diskutieren.

Es geht hier um ein GRUNDSATZPROGRAMM, nicht bzw. noch nicht um das WAHLPROGRAMM der AfD Niedersachsen zur Landtagswahl, was auch nicht allen klar ist. Es ist zeitlich überhaupt nicht notwendig, an diesem Wochenende ein eigenes Grundsatzprogramm für Niedersachsen zu beschließen, denn die Partei hat sich am 1. Mai 2016 in Stuttgart ein sehr gutes Grundsatzprogramm gegeben.

Ich kann nur jedem stimmberechtigten Mitglied empfehlen, für Nichtbefassung mit diesem Leitantrag zu stimmen und ihn in die Fachausschüsse bzw. die Landesprogrammkommission zurückzuverweisen. Ferner sollte Herr Wappler dringend von seinen Aufgaben als Landesprogrammkoordinator entbunden werden.

Wenn die AfD Niedersachsen sich am Wochenende dieses Programm gibt, mit dieser unveränderten Präambel und diversen anderen Inhalten, dann wird man dereinst tatsächlich vom Vermächtnis des Trappenjägers sprechen können.

Wer den Wechsel will, muss jetzt AfD wählen, notfalls mit Bauchschmerzen

Von Dr. Jens Wilharm

Die AfD präsentiert sich seit Monaten als eine zerstrittene Partei, in der es neben mehreren kleineren Strömungen vor allem einen Flügel gibt. Einen, nicht zwei. Wie man weiß, kann zumindest ein Flugzeug mit nur einem Flügel nicht fliegen. Ein Adler, unser deutsches Wappentier, kann es auch nicht.

Dieser national-konservative Flügel, der offiziell einfach Flügel heißt, ist sehr gut vernetzt und organisiert. Die zentrale Figur ist der Thüringer Landesvorsitzende Björn Höcke. Der Flügel hat ein eigenes Logo, eine eigene Webseite und einen eigenen Versandhandel, über den er alles vertreibt, was das Herz seiner Anhänger begehrt, von der Kaffeetasse, wahlweise mit Bismarck oder Björn Höcke, über Ansteck-Pins mit Flügel-Logo bis zur Tragetasche mit dem Konterfei von Björn Höcke. Der Flügel stellt sich wie eine Partei in der Partei dar. Die Ergebnisse des Bundesparteitages in Köln hat er offenbar zum Anlass genommen, nun alle Hemmungen fallen zu lassen und den Schulterschluss mit PEGIDA und der Identitären Bewegung (IB) öffentlich zu vollziehen. So, als habe er den Bundesparteitag dominiert,  obwohl die Mehrheitsverhältnisse, die sich dort gezeigt haben, ganz andere waren. Beobachter gehen davon aus, dass nur etwa 25 Prozent der Delegierten in entscheidenden Fragen, etwa bei der Wahl der Bundesschiedsrichter, mit dem Flügel gestimmt haben.

Aus den Mehrheitsverhältnissen in der Partei kann der Flügel diesen Vorstoß also wohl eher nicht ableiten. Aus einem strategischen Plan des Bundesvorstandes auch nicht. Mehr aus einer unrealistisch übersteigerten Selbstwahrnehmung. Gestützt wird das dadurch, dass der Flügel sich regelmäßig, etwa durch grenzwertige Äußerungen seiner Vertreter, Gehör verschafft. Die Medien greifen das dankbar auf und stellen den Flügel so dar, als repräsentiere er die AfD. Das ist mitnichten der Fall. Jedenfalls noch. Die Gefahr ist aber groß, dass diese Partei in der Partei am Ende zur Partei wird, wenn dieser Vorstoß jetzt ohne Gegenwehr hingenommen wird.

Der Flügel zieht allerlei fragwürdiges Klientel in die Partei. Die, die schon immer da waren und die AfD schon früh als neue Chance begriffen haben, unter einem bürgerlichen Deckmantel endlich die politische Bedeutungslosigkeit zu verlassen, hat er längst versammelt. Auch im Westen und auch in Niedersachsen. Und da sind sie nun angekommen. Sitzen in Stadträten und Kreistagen und schlagen mitunter auf ihren Weltnetz-Seiten mit sprachlich teilweise unterirdischen Beiträgen jeden bürgerlichen Interessenten an der Partei erfolgreich in die Flucht. Da kann man sich dann auch wirklich jede E-Post zur Kontaktaufnahme ersparen.

Einen bürgerlich-konservativen Flügel, in dem sich wohl viele Parteimitglieder wiederfinden würden, die weder inhaltlich noch personell etwas mit dem rechten Rand zu tun haben wollen, gibt es hingegen nicht. Vielleicht würde sich die Mehrheit der Mitglieder darin wiederfinden. Einen weiteren Flügel zu etablieren, ist in der AfD aber schwierig. Vor allem weil diejenigen, die dem real existierenden Flügel angehören oder ihm nahestehen, so zum Beispiel der niedersächsische Landesvorsitzende Paul Hampel und seine Unterstützer, immer wieder betonen, wie wichtig Einigkeit und Gemeinsamkeit seien. Hampel bestritt auf dem Kölner Bundesparteitag gar die Existenz eines Flügels. Er selbst hat in seinem Landesverband allerdings mit der Gemeinsamkeit wenig am Hut und arbeitet weiter an der Vernichtung seiner parteiinternen Gegner. So wie sein Kollege Poggenburg, ein Flügel-Mann der ersten Stunde, das in Sachsen-Anhalt auch macht. Die Betonung der Gemeinsamkeit ausgerechnet durch Vertreter des Flügels, während sie selbst, unbeirrt von den Bedenken vieler bürgerlich-gemäßigter Parteimitglieder, eine Gratwanderung entlang des rechten Randes vollziehen, ist nichts weiter als ein vergifteter Apfel, für den die harmoniebedürftige Rumpf-Partei nur zu empfänglich ist.

Nun gibt es also seit dem Kölner Bundesparteitag einen großen Teppich, unter dem alle Differenzen und Streitigkeiten, zumindest bis nach der Bundestagswahl, begraben werden sollen, aber es funktioniert nicht. Hätte man sich denken können. In 3 Tagen ist Landtagswahl in Schleswig-Holstein. Da steht heute in der Presse, das Landesschiedsgericht, also eine parteieigene Instanz, habe die Wahl des Landesvorstandes vom 16. April 2016! für ungültig erklärt. Noch schlimmer kann man die AfD Schleswig-Holstein und ihren Landesvorsitzenden sowie Spitzenkandidaten Jörg Nobis zu einem solchen Zeitpunkt wohl nicht mehr beschädigen. Zufall dürfte der Zeitpunkt der Bekanntgabe dieses Urteils wohl kaum sein.

Ich wünsche der AfD Schleswig-Holstein trotzdem von Herzen den erfolgreichen Einzug in den Kieler Landtag. Und ich kann allen Wählern nur raten, die AfD zu wählen. Trotzdem. Denn es gibt keine Alternative und die Differenzen in der AfD werden sich klären. Sie müssen es.

Schleswig-Holstein mag ein Musterbeispiel für den inneren Zustand der AfD sein. Vergleichbare Zustände, in denen sich unversöhnliche Lager gegenüberstehen, für die notfalls auch die Zerstörung der Partei eine Option ist, gibt es in vielen anderen Landesverbänden. Neben persönlichen Differenzen geht es dabei oft genug eben auch um die Frage, ob die Partei einen gemäßigten, bürgerlich-konservativen Kurs oder den radikaleren Flügel-Kurs fahren soll.

Man muss damit rechnen, dass am Ende alle Mitglieder, egal wo sie sich verorten, vor dem Scherbenhaufen der aussichtsreichsten und notwenigsten Parteineugründung der letzten Jahrzehnte stehen. Das gilt es zu verhindern. Wie?

Man muss erst einmal erkennen, wo die die Probleme liegen und dann versuchen, sie so zu beseitigen, dass alle Beteiligten und vor allem unser Land den größtmöglichen Nutzen davon haben.

Problem Nummer eins ist, dass bürgerlich Gemäßigte, die aus der Mitte der Gesellschaft kommen, mit Björn Höcke und dem Flügel, noch mehr mit rechten Randerscheinungen, die der Flügel angezogen hat, nicht so sehr viel anfangen können. Das ist moderat ausgedrückt. Für viele Wähler, vor allem im Westen, ist eine Flügel-AfD unwählbar. Viele Mitglieder, die bisher für die Partei aktiv waren, sind auch nicht mehr bereit, ihren Kopf und ihre Reputation für eine Partei hinzuhalten, die in der Außendarstellung auf den Flügel verengt wird. Schlimmstenfalls wollen sie, dass Höcke und seine Anhänger die Partei verlassen.

Problem Nummer zwei ist, dass Anhänger des Flügels ernsthaft hoffen, dass ihr Kurs auch im Westen genügend Zustimmung bei den Wählern findet. Gemäßigte, bürgerlich-konservative Mitglieder, sind für sie bestenfalls „Halbe“, mit denen man den patriotischen Kampf nicht führen kann, die aber auch so schwach sind, dass man sie einfach ignorieren kann. Wenn die Kritik dann zu laut wird, sind sie aber schlimmstenfalls aus der Partei zu entfernen.

Trotz alledem haben diese beiden, sich weitgehend unversöhnlich gegenüberstehenden, Lager ziemlich viele Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel ein Bundeswahlprogramm, das in Köln mit 92,5 % Zustimmung beschlossen wurde. Und gar keine Frage ist, dass alle in den Regierungs- und Konsensparteien keine Alternative sehen.

Problem Nummer drei ist also die Art und Weise, wie diese Inhalte zum Wähler transportiert werden sollen. Also wer diese Inhalte übermittelt, mit welchem Zungenschlag er das tut und welche Wählerschichten er damit anspricht.

Unsere Parteispitzen sagen gern, die Partei sei breit aufgestellt. Das ist sicher auch so. Jedoch dürfte es schwer sein, dem Wähler diese Breite verständlich zu machen. Also etwa jemandem, der sich so etwas wie eine CDU ohne Angela Merkel und ohne Masseneinwanderung wünscht, zu erklären, dass er, wenn er das haben will, eine Partei wählen soll, die auch am rechten Rand auf Stimmenfang geht, die gesellschaftlich geächtet ist, der kaum jemand mehr Räumlichkeiten vermietet und für die man besser öffentlich keine Sympathien erkennen lässt. Selbst wenn er den Inhalten ihres Wahlprogramms vollkommen oder zum großen Teil zustimmen kann.

Inzwischen ist eine Lücke zwischen CDU und AfD entstanden. Es ist die Frage, wer diese in Zukunft ausfüllen wird.

Die AfD könnte es selbst sein, wenn sie ihren bürgerlich-konservativen Mitgliedern mehr Raum geben würde und diese auch medial viel stärker wahrgenommen würden. Die Etablierung eines neuen, bürgerlich-konservativen Flügels in der AfD, als Gegengewicht zum national-konservativen Flügel, wäre eine Lösung. Das müsste dann aber schnell gehen. Und es müsste sogar im Interesse des Flügels sein, denn es ist die letzte Möglichkeit, die Partei langfristig als politische Einheit zu erhalten. Die bürgerlich-konservativen Mitglieder werden gehen. Entweder in einen eigenen Flügel oder aus der Partei. Und zwar noch in diesem Jahr.

Die CDU könnte es sein und sie scheint mit ihren neuen Thesen zur deutschen Leitkultur auf dem besten Weg zu sein. Auch wenn es sich dabei derzeit nur um ein trojanisches Pferd handeln kann, denn Angela Merkel ist ja immer noch da: die Wähler scheinen das zu glauben. Anders ist es nicht zu erklären, dass die CDU in der neuesten Forsa-Umfrage zur Bundestagswahl von heute plötzlich bei 36% steht, die SPD nur noch bei 28% und die AfD bei 8%. Diese 8%, die die CDU hier mehr als die SPD erhält, sind eigentlich 8%, die eine bürgerlich-konservative AfD hätte für sich vereinnahmen können, wenn ihr in der öffentlichen Wahrnehmung nicht die unklare Abgrenzung zum Rechtsextremismus anhaften würde. Wenn Merkel erst weg ist, hat die AfD ein Riesenproblem, sich gegen eine CDU zu behaupten, die sich wieder bürgerlich-konservativ gibt.

Und schließlich könnte es auch eine weitere Parteineugründung sein, die Mitglieder aus dem bürgerlich-konservativen Lager der AfD, Teilen der CDU und aus dem Lager der Nichtwähler versammeln könnte. So etwas wie eine bundesweite CSU ohne den Papiertiger Horst Seehofer.

Die AfD wird sich für einen Weg entscheiden müssen, wenn sie überleben will. Ihre bürgerlichen Mitglieder brauchen ein Wohnzimmer in der Partei, in dem sie sich wieder wohlfühlen können und das sehr deutlich in Erscheinung tritt. Oder sie brauchen eine neue Partei. Eine andere Lösung sehe ich nicht.

Doch wie soll man das dem Wähler erklären, denn das wäre ja eine mehr oder weniger ausgeprägte Spaltung der Partei. Warum denn nicht? Der Flügel ist schon jetzt eine Partei in der Partei. Warum nicht eine zweite Partei in der Partei? Zwei unter einem Dach.

Der Flügel bildet das Auffangbecken für alle Patrioten, ungeachtet ihrer politischen Herkunft, und vollzieht den Schulterschluss mit PEGIDA, der IB und der Initiative „Ein Prozent“. Er macht das auf seine Art und tut das in seiner Sprache. Aber er soll dann auch den Mut haben, dass ganz alleine zu verantworten und dafür alleine gerade stehen.

Wer sich hier nicht wiederfindet, der muss sagen dürfen: „Das bin ich nicht. Das geht mir zu weit.“ Die bürgerlich-konservativen Mitglieder bilden unverzüglich einen eigenen Flügel, der sich ganz klar vom Flügel abgrenzt und medial in Erscheinung tritt. Der idealerweise auch als Partei in der Partei wahrgenommen wird. Dieser neue Flügel bietet seinen Mitgliedern die Möglichkeit, öffentlich mit ihrer Zugehörigkeit zu dieser bürgerlichen AfD zu werben und eine Wählerschaft der bürgerlichen Mitte anzusprechen.

Alle werden sich darüber einig, dass ein politischer Wandel in Deutschland dringend erforderlich ist und  die politischen Verhältnisse derart linksgerichtet sind, dass dieser Wandel nur herbeigeführt werden kann, wenn ALLE nicht linken Kräfte dagegen zusammenstehen. Vor der Bundestagswahl ist eine Differenzierung dieser Kräfte nicht mehr möglich. Nur die AfD kann das Ticket bereitstellen, auf dem alle gemeinsam in den Bundestag einziehen können. Danach mag es eine Differenzierung geben. Man wird sehen, ob das nötig wird oder ob die Etablierung eines bürgerlich-konservativen Flügels ausreicht, um langfristig eine Partei zu bleiben. Den Regierungsparteien und den Konsensparteien ist es nicht zuzutrauen, die Probleme dieses Landes zu lösen. Egal ob Euro- oder Flüchtlingskrise, egal ob Kriminalität und Terror oder Mini-Rente und eine völlig aus den Fugen geratene Steuer- und Abgabenlast. Die, die das gemacht haben, werden es nicht ändern.

Wenn man das dem Wähler vernünftig erklärt und wenn die AfD nicht mehr als Einheit, sondern als eine strategische Sammelbewegung verschiedener Flügel, die am Ende doch ein gemeinsames Ziel verbindet, verstanden wird, mag das funktionieren. Wenn man weiterhin so tut, als sei alles in bester Ordnung und gleichzeitig passieren Dinge wie jetzt in Schleswig-Holstein, wo parteiinterne Gegner 3 Tage vor der Wahl ihre eigene Partei demontieren, dann ist das für den Wähler alles andere als glaubwürdig.

Noch einmal, es gibt derzeit keine Alternative zur AfD, wenn man dieses Land, so wie man es kennt und wie man es als Heimat empfindet, erhalten will. Da mag es noch das eine oder andere Problem geben, aber nichts ist schlechter, als wieder die zu wählen, die es so lange schlecht gemacht haben.