von Dr. Jens Wilharm
Morgen ist der 1. Mai 2017. Das ist traditionell der Tag der Arbeit und es gehört dazu, dass die Gewerkschaften diesen Maifeiertag begehen. Es besteht genügend Anlass, einmal zu hinterfragen, ob die Gewerkschaften ihren Aufgaben überhaupt noch gerecht werden. Zweifel sind da durchaus angebracht.
Gewerkschaften sind dazu da, um die Interessen der Arbeitnehmer gegenüber Arbeitgebern, Arbeitgeberverbänden und der Politik bestmöglich zu vertreten. Und zwar ganz unabhängig von Präferenzen für bestimmte politische Parteien. Gewerkschaften sind Organisationen, die von unten nach oben funktionieren müssen. Die organisiert und geführt werden von Arbeitnehmern für Arbeitnehmer. Sie müssen die Interessen der Arbeitnehmer gleichermaßen berücksichtigen, und zwar die Interessen aller Arbeitnehmer. Nicht die Interessen von Arbeitnehmern, die politisch der vermeintlich richtigen Partei nahestehen, besser als die von Arbeitnehmern, die sich eher von einer anderen Partei besser vertreten sehen. Und schon gar nicht Arbeitnehmer, die der falschen Partei angehören, ausgrenzen und diskriminieren.
Arbeits- und Sozialpolitik ist in allen Parteien ein wichtiges Thema. Klassische Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberparteien gibt es in Deutschland schon lange nicht mehr. Arbeitnehmer sind Wähler, und zwar mit Abstand die meisten. Jede Partei muss auch von Arbeitnehmern gewählt werden, um existieren zu können. Keine Partei könnte nur von den Stimmern der Arbeitgeber leben. Ohne Arbeitnehmer können weder ein Staat noch Unternehmen existieren. Sie sind das Fundament. Wenn das nicht in Ordnung ist, stürzt ein Gebäude über kurz oder lang ein. Es sollte daher im ganz natürlichen Interesse einer jeden Partei liegen, sich um Arbeitnehmerinteressen zu kümmern und diese auch glaubhaft zu vertreten. Das geht nur, wenn die Arbeitnehmer auch gehört werden. Gewerkschaften sind dazu da, den Arbeitnehmern Gehör zu verschaffen und für sie zu arbeiten, nicht gegen sie.
Leider sind die Gewerkschaften in Deutschland von ihren Funktionären pervertiert worden. Für politische Machtinteressen bestimmter Parteien und ganz persönliche Eigeninteressen der Funktionäre. Denn wie es so schön heißt, wäscht ja eine Hand die andere.
Anstatt sich auf die originären Aufgaben ihrer Gewerkschaften zu konzentrieren, wie etwa sich um das Niveau von Löhnen und Renten zu kümmern, und von unten nach oben zu arbeiten, hat man sich zum ausführenden Organ der herrschenden politischen Klasse machen lassen.
Ich habe kürzlich im Urlaub ein ausgedientes sowjetisches U-Boot besichtigt. Darin gab es eine Kabine für den Polit-Offizier. Treffender könnte es nicht sein. Gewerkschafts-Funktionäre machen heute in Deutschland genau das, was Polit-Offiziere auf sowjetischen U-Booten oder Parteifunktionäre in volkseigenen Betrieben der ehemaligen DDR auch gemacht haben. Sie arbeiten von oben nach unten und sehen ihre Aufgabe darin, die Arbeitnehmer politisch auf die richtige Linie zu bringen. Wie in Sozialismus und Kommunismus sind sie Teil der Machtbasis linker Parteien. Und damit ist es nicht genug. Arbeitnehmer werden im Deutschland des Jahres 2017 auch von Gewerkschaftsfunktionären bespitzelt und notfalls umerzogen. Wenn das nicht geklappt hat, wird selbst der Verlust des Arbeitsplatzes als letzte Maßnahme unterstützt. Wie Gewerkschaften dabei vorgehen, können Sie sich am Beispiel von ver.di anschauen. Diese Gewerkschaft hat extra eine Handlungshilfe herausgebracht, in der gesagt wird, wie man mit politisch „falsch“ denkenden Kollegen und Kolleginnen umzugehen hat.
Arbeitnehmer werden dahingehend bespitzelt und auch dazu aufgerufen, sich gegenseitig dahingehend zu bespitzeln, welche politischen Präferenzen sie haben könnten. Sollten sie durch Äußerungen am Arbeitsplatz Sympathien für Gedanken erkennen lassen, die derzeit von der falschen Partei vertreten werden, geraten der liebe Kollege oder die liebe Kollegin in die Mühlen der gewerkschaftseigenen Inquisition. Da mag zunächst ein freundlicher, aber bestimmter Hinweis genügen. Wenn der liebe Kollege oder die liebe Kollegin dann aber nicht ihren schädlichen Gedanken abschwören, droht ihnen unter Umständen Schlimmeres.
Im Interesse der Arbeitnehmer kann es nicht sein, wenn Gewerkschaftsfunktionäre ihre eigentliche Aufgabe vernachlässigen, sie politisch erziehen wollen und der Funktionärsposten immer mehr zu einem gut bezahlten Selbstzweck wird. Darum wird es Zeit, dass sich die Arbeitnehmer ihre Gewerkschaften zurückholen und sie auf das stoßen, wozu sie eigentlich da sind. Arbeitnehmer-Interessen zu vertreten. Dazu gehört es, die Meinungsfreiheit aller Arbeitnehmer zu respektieren und zu schützen. Und dazu gehört es vor allem, mit allen politischen Parteien zusammenarbeiten zu wollen und auch in deren politischen Gremien und Ausschüssen Arbeitnehmerinteressen Gehör zu verschaffen. Bis hinein in deren Partei- und Wahlprogramme.
Die Alternative für Deutschland (AfD) ist eine demokratische Partei, die ein ausgeprägtes Interesse daran hat, die Interessen aller Bürger, auch und gerade der Arbeitnehmer, zu vertreten. Gewerkschaften sollten mit ihr zusammenarbeiten, wie mit jeder in den Parlamenten vertretenen Partei. Tun sie es nicht, verraten sie die Interessen vieler Mitglieder. Die sollten ihre Funktionäre daran erinnern, dass sie Arbeitnehmer-Interessen gegenüber der Politik zu vertreten haben und nicht die Interessen der Politik gegenüber den Arbeitnehmern. Dazu mag eine Reform der Gewerkschafts-Organisation in der Weise notwendig sein, dass Funktionäre die Bodenhaftung nicht verlieren können und der Politik am Ende näher stehen als den Mitgliedern. Etwa durch Begrenzung der möglichen Amtszeiten.
Ich verkenne nicht die historische Entwicklung der Gewerkschaften. Natürlich sind sie ursprünglich politisch links stehende Organisationen und stehen in Deutschland traditionell der SPD nahe. Jedoch hat sich das politische Spektrum in Deutschland seit vielen Jahren völlig verändert. Zeitgemäß ist das nicht mehr. Eine moderne Gewerkschaft muss zur Zusammenarbeit mit jeder Partei willens und in der Lage sein. Es kann nicht sein, dass Funktionäre regelmäßig von bunter Vielfalt schwadronieren, aber sich dann doch höchst einfarbig geben, wenn es um die politische Vielfalt im Lande geht.
Gewerkschaftsfunktionäre, die sogar hergehen und ihre Mitglieder zur Demonstration gegen demokratische Parteien aufrufen, wie kürzlich gegen den AfD-Parteitag in Köln im April 2017, haben ihre Aufgabe völlig verfehlt.
Die Mitgliedszahlen der im DGB organisierten Gewerkschaften sind seit 2001 kontinuierlich rückläufig. Der DGB hat seit 2001 in jedem Jahr tausende Mitglieder verloren, insgesamt fast 2 Millionen (1.851.506). Dies entspricht einem Viertel der Mitglieder in 16 Jahren. Es ist wohl Zeit für ein Umdenken.
Auffällig sind die Parallelen zu anderen Nichtregierungsorganisationen, die ebenfalls politisch missbraucht werden. Dazu gehören die großen Kirchen und die Wohlfahrtsverbände.