Wer in Deutschland die bürgerliche Mitte erreichen will, muss eine Nähe zu extremen oder rassistischen Positionen und Gruppierungen glaubhaft vermeiden.
Von Dr. Jens Wilharm
Die Alternative für Deutschland (AfD) hat seit 2013 in der Parteienlandschaft eine Erfolgsgeschichte geschrieben, die ihresgleichen sucht. Für viele ist sie nach wie vor die einzige Hoffnung darauf, die politischen Verhältnisse in Deutschland zu ändern und manche Fehlentwicklung der vergangenen Jahre zu korrigieren. Damit sie das tun kann, muss sie aus eigener Kraft Mehrheiten erreichen. Sie muss mindestens stärkste Partei werden, und zwar in allen Bundesländern. Denn sie kann weder auf Koalitionsangebote etablierter Parteien hoffen noch sollte sie selbst es in Erwägung ziehen, sich als Juniorpartner an Koalitionen beteiligen zu wollen. Dabei kann sie nur ihr Profil verlieren. Die Gefahr, dass sie ihr Profil verliert, entsteht ohnehin schon dadurch, dass Parteien wie die CDU AfD-Positionen für sich selbst übernehmen. Positionen, für die die AfD noch vor nicht allzu langer Zeit in die Nähe des Rechtsextremismus gerückt wurde. Die AfD muss erreichen, dass die Wähler das Original wählen und nicht die Kopie. Das wird sie nur schaffen, wenn sie Themen meidet und sich von Personen oder Gruppierungen fernhält, die sie für bürgerliche Wähler nur mit Bauchschmerzen wählbar macht. Die wählen dann nämlich lieber die Kopie. Man kann nicht von jedem die Erkenntnis erwarten, dass die Formulierung von AfD-Zielen durch etablierte Parteien zumeist nicht mehr als ein wahltaktisches Lippenbekenntnis sein dürfte. Der Wähler bewertet die Aussagen und nicht deren Ehrlichkeit. Ein fataler Fehler seitens der AfD wäre es, die Übernahme ihrer Positionen durch andere Parteien dadurch wettmachen zu wollen, dass man die eigenen Positionen schärft, um sich wieder abzuheben. Die AfD muss sich in der bürgerlichen Mitte etablieren, um dauerhaft als Volkspartei zu bestehen. Dazu muss sie Ballast abwerfen, der ein Vorwärtskommen behindert. Die Entwicklung muss in Richtung Professionalisierung und Strukturierung der Partei gehen. Sie muss streng auf die Zukunft ausgerichtet und nicht in der Vergangenheit verhaftet sein.
Der Erfolg der AfD war bisher nicht in allen Bundesländern gleich. Während sie in den neuen Bundesländern bereits Wahlerfolge feiern konnte, die weit jenseits der 20 Prozent lagen, sind die alten Bundesländer, etwa Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, noch weit von solchen Ergebnissen entfernt. Die Partei braucht solche Ergebnisse aber auch und gerade in den alten Bundesländern, denn dort wohnen mit Abstand die meisten Wähler. Darum muss die AfD, gerade im kommenden Bundestagswahljahr, das für sie zum Schicksalsjahr werden könnte, zeigen, dass sie eine Partei ist, die nicht Wähler am rechten Rand, Protestwähler und notorisch Unzufriedene ansprechen will. Sie muss beweisen, dass sie ein zuverlässiger Vertreter bürgerlicher Interessen ist.
Für eine neue Partei, die den etablierten Parteien etwas wegzunehmen droht, ist es in Deutschland extrem schwierig, so weit zu kommen, wie die AfD bereits gekommen ist. Schwieriger als anderswo. Und im Westen der Republik schwieriger als im Osten. Eine beständig und oftmals auch erfolgreich eingesetzte Waffe gegen neue Parteien in Deutschland ist die „Nazikeule“, mit der die Etablierten und ihr weit gefächertes Netzwerk an Unterstützern alles niederprügeln, durch das sie sich selbst bedroht sehen. Egal, wie berechtigt oder unberechtigt solche Vorwürfe sind. Es muss hingegen kaum jemand befürchten, wegen einer Nähe zum Linksextremismus in den Fokus öffentlicher Kritik zu geraten. Im Osten wirkt die rechte Keule nicht so gut. Es mag daran liegen, dass die dortige Erfahrung mit Propaganda nicht ganz so lange zurückliegt und man weiß, was man davon zu halten hat. Es mag auch daran liegen, dass das Demokratieverständnis und das Feingespür für Versuche, die freie Meinungsäußerung zu untergraben, im Osten noch etwas ausgeprägter ist, weil man lange genug etwas anderes hatte. Im Westen ist das anders. Das System hat sich hier bereits viel länger etabliert und viele Bürger haben den Linksruck der Gesellschaft, der sich über Jahrzehnte in kleinen Schritten vollzogen hat, gar nicht so sehr bemerkt. Trotz zunehmenden Medienverdrusses auch im Westen, was sich in einem deutlichen Rückgang der Auflagen von Printmedien äußert, ist der Einfluss der Medien auf die Meinungsbildung nach wie vor erheblich. Im Westen wirkt die „Nazikeule“ besser. Man kann das kritisieren, aber man muss es auch zur Kenntnis nehmen und entsprechend agieren, wenn man politisch erfolgreich sein will. Es hat wenig damit zu tun, dass die Bürger im Osten mehr rechtsorientiert wären. Im Ergebnis muss die AfD im Westen deutlich mehr darauf achten, differenziert mit kritischen Themen umzugehen, die ihr eine rechtslastige Aura verleihen. Im Westen wird sie dadurch für viele unwählbar. Dem muss man Rechung tragen, indem die Partei dem immer wiederkehrenden Vorwurf einer Nähe zum Rechtsextremismus den Wind aus den Segeln nimmt. Und zwar, indem man durch umsichtiges Handeln dazu beiträgt, dass dazu gar kein Anlass gefunden werden kann.
Das bedeutet ganz klar, in der Partei keinen Raum zu lassen für Personen, die mit rechtsextremen oder rassistischen Positionen kokettieren und etwa derartige Inhalte in den sozialen Medien veröffentlichen. Das bedeutet, keinen Umgang mit Parteien oder Gruppierungen zu pflegen, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden oder wurden und auch keine Personen als Mitglieder aufzunehmen, die zuvor Mitglied in solchen Organisationen waren. Es bedeutet auch, sich zu unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung zu bekennen und die Bundesrepublik Deutschland als unseren Staat sowie das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland als unsere Verfassung anzuerkennen. Positionen zu diesem Thema, wie sie etwa von sogenannten Reichsbürgern vertreten werden, dürfen in der AfD keinen Platz haben.
Nun ist das Problem der AfD nicht, dass sie so viele Mitglieder hätte, die solche Ansichten verträten. Das Problem ist, dass einige führende Mitglieder der AfD, auch in Niedersachsen, im Landesverband wie in den Kreisverbänden, einen undifferenzierten Umgang mit dieser Thematik pflegen, ohne sich der Gefahr bewusst zu sein. Man kann auch nicht behaupten, dass diese Entscheidungsträger selbst rechtsextreme Ansichten verträten. Das ist nicht der Fall. Aber sie nehmen Mitglieder auf nach dem Motto „jeder kann und darf mitmachen“. Wenn diese dann durch entsprechende Meinungsäußerungen auffallen und das von der Presse entdeckt wird, wird das relativiert und es entsteht nicht der Eindruck, dass man hier eine klare Linie fahren will. Es ist sicher nicht nur nicht notwendig, sondern höchst kontraproduktiv, wenn man sich auf die bereits acht Mal wegen Volksverhetzung verurteilte Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck bezieht, egal in welchem Zusammenhang. Es zeugt ebenso von einem undifferenzierten Umgang mit unserer Geschichte, wenn ein AfD-Kreisverband auf seiner Internetseite die Verurteilung des ehemaligen SS-Mannes Oskar Gröning zum Anlass nimmt, um einen Bezug zwischen der Naziherrschaft und der aktuellen Einwanderungspolitik der Bundesregierung herzustellen. Wenn dieser Kreisverband dann darauf hingewiesen und um Stellungnahme gebeten wird, zeugt es zwar von erheblichem Selbstbewusstsein, wenn man das relativiert, den Autor in Schutz nimmt und den Beitrag trotzdem auf der Webseite stehen lässt, aber auch von einer fatalen Fehleinschätzung der Außenwirkung. Was aber gar nicht geht, ist, wenn ein niedersächsischer Landesvorsitzender sich von einem rechtslastigen Verein einladen lässt, der seit Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet wird und dort als erster Redner des Abends spricht, wo bereits ein Udo Pastörs (NPD) oder der Ex-Terrorist und Holocaust-Leugner Horst Mahler gesprochen haben. Welcher potentielle Wähler der bürgerlichen Mitte soll diese Signale denn noch richtig deuten? Im Landesverband Niedersachsen und auch in einigen Kreisverbänden sind Kurskorrekturen notwendig.
Es gibt also die, die einen undifferenzierten Umgang mit dem Thema pflegen. Und dann gibt es leider noch eine andere, wesentlich größere Gruppe. Das sind die, die gar nichts damit zu tun haben, aber sofort eine Abwehrreaktion zeigen, wenn sie eine Nestbeschmutzung der Partei befürchten. Von dieser Gruppe werden Beiträge wie dieser dann schnell als parteischädigend empfunden, obwohl als Beispiel lediglich Fälle angeführt werden, über die erst vor Kurzem in zahlreichen Medien berichtet wurde. Die somit nicht durch diesen Beitrag an die Öffentlichkeit gebracht werden.
Wir alle müssen unser politisches Handeln an der Zukunft orientieren. Es wird für uns Deutsche Zeit, die Ereignisse und Folgen des zweiten Weltkrieges in den Geschichtsbüchern ruhen zu lassen. Das muss aber für alle Beteiligten gelten. Für diejenigen, die so gern die Nazikeule schwingen ebenso wie für diejenigen, die mit dieser Zeit nicht abgeschlossen haben und immer wieder drauf Bezug nehmen wollen. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Die AfD würde gut daran tun, hier als Vorbild in der politischen Landschaft nach vorn zu schauen und möglichen Ballast abzuwerfen, damit sie weiter aufsteigen und auch im Westen Mehrheiten erzielen kann. Verpasst sie diese historische Chance und schafft sie es nicht, auch Wähler zu gewinnen, die heute noch die etablierten Parteien wählen, dann wird sie nicht weiter wachsen.